Selbstverständlich habe ich die Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele sofort unterschrieben. Das war ich mir schuldig. (Wenn es eine zeitversetzte Parallelwelt gibt, dann sitzt jetzt eine kleine (sagen wir: elfjährige) Dorothee schluchzend hinter der Umkleide, weil sie wieder keine Urkunde bekommen hat und flüstert: Danke, dass du das unterschrieben hast! Und alle so: *mitheul*!)
Und genauso selbstverständlich ist mir sonnenklar, dass die Petition (hier ein sachliches Interview mit der Initiatorin) nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg hat. (Dafür gibt es noch immer zuviele Menschen, die glauben, dass gute Leistung nur durch Druck und Zwang entstehen kann, egal in welchem Bereich, und die eine verpflichtende Teilnahme mit anschliessender öffentlicher Demütigung gar nicht als Problem wahrnehmen.)
Warum sonst also habe ich das unterschrieben?
Natürlich zum einen aus der eigenen Erfahrung heraus. Die Bundesjugendspiele waren für mich furchtbar. Allerdings waren sie das erst nach ein paar Jahren. Denn natürlich bin ich wie jedes Kind mit Spaß an der Bewegung in meine „Sportkarriere“ und die ersten BJS gestartet. Nach einigen Malen öffentlicher Blamierung hatte aber auch ich endlich gelernt: Du kannst dich anstrengen, soviel du willst, du kannst es niemals schaffen. Untermauert wurde dieser Eindruck durch die fragwürdigen Methoden einiger Sportlehrer (der beste Sportlehrer, an den ich mich erinnere, war jener, der mich vollkommen ignorierte und mich daher eben auch nicht vor der Klasse fertigmachte, tiefempfundenen Dank dafür). Es brauchte also nur ganz wenige Jahre Sportunterricht und Bundesjugendspiele um die kindliche Freude an der Bewegung umzukehren und zu dem zu zementieren, was auch heute noch meine Einstellung zum Sport bestimmt: Sport ist demütigend und eine Qual. Lass mir die Ruhe mit dem Mist. Schade.
Ich beneide wirklich die Menschen, die es schaffen, durch egal welchen Sport Glückshormone freizusetzen und ja, ich habe es oft und ernsthaft versucht. Aber das einzige was körperliche Anstrengung bei mir freisetzt sind negative Gefühle, wobei „was mach ich hier eigentlich für einen Scheiß“ noch das harmloseste ist. Mein Hirn hat diese enorme innere Ablehnung vollkommen assimiliert und widersetzt sich seit vielen Jahren erfolgreich jedem Versuch der Umprogrammierung. Das hat natürlich eine Vielzahl von Gründen, aber Bundesjugendspiele und Sportunterricht stehen auf der Liste ganz weit oben.
Es ist allerdings zum Glück nicht so, dass ich meinem Sohn diese Art der Demütigung ersparen müßte. Auch an seiner Schule gibt es Bundesjugendspiele, aber die Sportlehrerinnen dort sind freundlich, einfühlsam, motivierend und schaffen es, auch unseren tendenziell eher bewegungsunlustigen Sohn (der Apfel fällt nicht weit…) die Freude an der Bewegung nahe zu bringen. Und da er noch nie (weder zuhause noch in der Schule) an seinen Leistungen gemessen wurde und es hier keinen Erziehungsmist gibt wie „stell dich nicht so an“, „da musst du jetzt durch“ und „dashamwirimmerschongemacht“ deshalb braucht er auch vor den Bundesjugendspielen keine Angst zu haben. Was er für eine Urkunde bekommt, ist ihm noch herzlich egal, er macht einfach gerne mit und freut sich. (Für alle kommenden Bundesjugendspiele hoffe ich, dass wir unserem Sohn genügend Selbstbewusstsein mitgegeben haben, dass er auch weiterhin seinen eigenen Wert nicht an der Punktzahl auf irgendeiner blöden Urkunde bemißt und sie daher auch nicht als demütigend wahrnimmt.)
Trotzdem habe ich unterschrieben, damit die Petition genau da landet, wo sie jetzt gelandet ist: in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich bin schon Anfang der Woche darüber gestolpert und war, wenn ich mich recht erinnere, unterhalb der ersten tausend Unterzeichner. Inzwischen sind es 16.000 und es gab sogar in unserer Lokalzeitung Berichte darüber- umso besser. Ich wünsche mir eine sachliche Diskussion über Sinn und Unsinn der Bundesjugendspiele, durchaus verbunden mit einem kritischen Blick in die Vergangenheit als Reichsjugendwettkämpfe und der Frage, welche Bedeutung diese Form des sportlichen Wettkampfs besonders in diesem Zusammenhang heute noch haben soll. Außerdem wünsche ich mir eine Diskussion über die Zukunft: warum keinen (verpflichtenden!) Sporttag mit einem breitgefächerten Angebot verschiedener vor Ort ansässiger Vereine organisieren? Raus aus diesem starren Konzept von Laufen, Werfen, Springen, hin zum Ausprobieren, was macht mir Spaß, wo bin ich gut?
Und bitte, weg mit der albernen Unterschrift des Bundesaugustpräsidenten auf den Urkunden. Warum nicht mal prominente Paten finden, die den Kindern auch was bedeuten? In diesem Jahr unterschreibt vielleicht mal Bastian Schweinsteiger die Teilnehmer(für alle!)urkunden, im nächsten vielleicht Betty Heidler?
Noch ein Wort zu zwei Argumenten der Bundesjugendspiele-Befürworter:
„Da mussten wir alle durch“ ist das beschissenste Argument der Welt. Es hat ungefähr die gleiche Qualifikation wie „dashammerimmerschongemacht“ und wer das sagt, den jage ich höchstpersönlich zu seinen Vorfahren, den Affen, auf den Baum, wo sie offensichtlich gerne sitzen und Bananen futtern möchten. Da wären wir nämlich alle noch, wenn das jeder denken würde.
Und zu den Kindern, die das angeblich so toll finden mit dem Wettbewerb und die sich ja angeblich unablässig mit anderen messen wollen:
Hör zu, Holzkopf: Ja, Kinder machen mal ein Wettrennen, freuen sich unbändig, wenn sie ein Tor schiessen oder im Basketball gewinnen, aber niemals kämen Kinder auf die Idee von großangelegten Wettbewerben mit Punktvergabe, öffentlichen Be- (und Ab)wertungen etc. Das ist ein durch und durch erwachsenes Konzept und wird auch nur durch Erwachsene indoktriniert. Kinder wollen spielen und lernen und am liebsten spielend lernen und nicht ständig andere fertig machen. DAS haben sich Erwachsene ausgedacht!
Kinder, die sich dennoch ständig im Wettbewerb mit anderen Kindern sehen (und davon kenne ich zum Glück nur wenige), haben dagegen möglicherweise schon verinnerlicht, dass sie rein als Person wertlos und nichtsnutzig sind und Liebe und Wertschätzung nur gegen gute Leistungen erfahren. Da haben ehrgeizige Erwachsene offensichtlich schon einiges kaputtgemacht und das ist ein echtes Drama.
Im übrigen müsste man ja nur mal anfangen, eine ähnliche Veranstaltung zum Beispiel im Bereich Mathematik zu etablieren. Jährlich, verpflichtend und mit öffentlicher Wertung versehen.
Herzlichen Glückwunsch, Konstantin hat mit soundsoviel Punkten im Mathewettbewerb eine Ehrenurkunde erhalten, unterzeichnet von Stephen Hawkins und hier, für die Schantalle und den Kevin gibt es eine Teilnehmerurkunde, unterschrieben von Daniela Katzenberger.
Oh, Mist. Gut, dass es keine Parallelwelten gibt, die kleine Dorothee fängt nur bei dem Gedanken an Mathematikwettbewerb schon wieder an zu heulen.