1000 Tode schreiben

Vor ein paar Wochen bin ich beim Kinderdoc über den Hinweis auf ein Buchprojekt, genauer: ein Ebookprojekt der Berliner Verlegerin Christiane Frohmann gestolpert.

1000 Tode schreiben
„Die Idee war und ist, in Form von tausend kurzen Texten tausend höchst subjektive Ansichten auf den Tod zu versammeln, damit diese zusammenwirkend einen transpersonalen Metatext über den Tod schreiben, aus dem wiederum ein plausibles Bild dessen entsteht, wie der Tod in der heutigen Gesellschaft wahrgenommen wird, welche Realität er hat, wie und was er ist.“
Christiane Frohmann, Hrsg.

Nach etwas Recherche zu verschiedenen der mir bekannteren Autoren (Buddenbohm, dasNuf, Isabel Bogdan, Anne Schüssler) und bisher veröffentlichten Texten, fand ich, dass meine Gedanken die ich hier zum Tod meiner Mamme wiedergegeben hatte, durchaus in einer Reihe stehen dürfen mit denen der „richtigen“ Autoren und sehr mutig fragte ich bei der Herausgeberin an, ob man Autor sein müsse um im Buch zu landen, und nein, musste man nicht.
Also habe ich, sozusagen todesmutig, den Text etwas überarbeitet und eingereicht. (Todesmutig deshalb, weil ich ja sonst eher zurückhaltend bin, was die größere Verbreitung meines Blogs betrifft. Ich habe ihn aus gutem Grund nicht mit Facebook verlinkt und teile auch nicht jedem, den ich auf der Straße treffe mit, dass ich überhaupt einen habe und am allerliebsten ist es mir ja immer wenn ich gar nicht erst drauf angesprochen werde. Also, so ein bißchen Reaktion ist ja schön, aber bloß nicht zu viel bitte.)
Man darf nun nicht denken, der Text sei wegen seiner literarischen Perfektion aus tausenden ausgewählt worden, nein, eher umgekehrt. Ich fürchte, um die tausend vollzukriegen, muß Frau Frohmann sowieso jeden Text nehmen, solange er nicht völlig das Thema verfehlt.
Ich habe das Ebook natürlich bereits von vorne bis hinten durchgelesen und bin beeindruckt von der Bandbreite der Texte. (Nein, ich habe nach Abschluß der Lektüre nicht erwogen, mich sofort aus dem Fenster zu stürzen, so dunkel und depressiv ist das Buch gar nicht. Eher interessant aus wie vielen Blickwinkeln man das Thema betrachten kann. Manche Texte sind mir ehrlicherweise zu hoch und veranlassten mich zu einem tiefempfundenen Hä?- da fehlt mir der intellektuelle Zugang, würde mein Deutschlehrer vermutlich sagen, aber ist kein Wunder, ich war ja bekanntlich nur auf der Dummenschule. Viele Texte berühren sehr und bei einigen (na gut, fast allen) musste ich wirklich weinen, und alle sind gut.)
Was wollte ich jetzt? Ach ja. Irgendwie die Kurve kriegen zu dem Text. Momentchen noch. Also, ich bin die Nummer 254 in der dritten Version des Buches, die am 16.2. erschien. (Ich! In EINEM Buch mit Buddenbohm! dasNuf! Isabel Bogdan! Anne Schüssler! KInderdoc! Ich krieg Herzrasen.) Es wird eine oder zwei? weitere Versionen geben, bis spätestens zur Frankfurter Buchmesse im Oktober, und mit jeder weiteren Version aktualisiert sich das vorher gekaufte Ebook. Es kostet übrigens nur 4,99. Der komplette Erlös des Buches geht an ein Kinderhospiz in Berlin, was ich eine feine Sache finde.
Das Buch kann man kaufen bei
https://minimore.de/shop/christiane-frohmann-hg-tausend-tode-schreiben/
oder
http://www.amazon.de/Tausend-Tode-schreiben-Christiane-Frohmann-ebook/dp/B00QFNEX5O
Für weitere Informationen klicke man diese Links an:
Der Verlag: http://frohmannverlag.tumblr.com/post/103971172641
und ein Interview mit Christiane: https://www.wired.de/collection/latest/christiane-frohmann-arbeitet-einem-internationalen-e-book-uber-den-tod-das-sich-selbst

Und wenn jetzt jemand denkt: Oha. Da könnte ich auch was passendes zu liefern. (Mir fielen ja auf Anhieb ein paar Leute ein, von denen ich gerne so einen Text lesen möchten täte.) Dann bitte, die passenden Links findet ihr oben.
Jetzt aber.
Lange genug drumherum geredet.
(Ich vergaß ganz, zu erwähnen: Heute wirds lang. Aber ist ja auch Aschermittwoch, da kann man mal ein bißchen leiden.)

 

254
Was kann tröstlich sein am Tod? Geteiltes Leid ist halbes Leid- den Satz fand ich immer etwas sehr optimistisch, aber letzten Endes ist es doch tatsächlich so, das geteiltes Leid erheblich leichter zu tragen ist. Ich hatte das große Glück, das Sterben meiner Oma im Kreis der ganzen Familie mitzuerleben.
Ihr Leben lang war sie zutiefst katholisch. Mit einer Mischung aus Pragmatismus, Optimismus und (manchmal nicht zu ertragender) Gottergebenheit nahm sie alles an, was ihr im Laufe ihres Lebens begegnete. Ihre zutiefst eingeprägte Haltung war: Gott walts. Jo. Gott wird es richten. Ja.
Vor jeder Reise, jeder Prüfung die irgendwer ablegen mußte, jeder Ungewißheit war das ihr Stoßseufzer. Gott walts. Jo.
Für jedes ihrer Kinder, Enkel und Urenkel, alle dazugehörigen Schwiegerkinder und Freunde war sie der Mittelpunkt der Familie, ein beruhigender Hort.
Auch am Ende ihres Lebens ist sie der Mittelpunkt. Alle ihre Kinder sind da, fast alle Schwiegerkinder und Enkel konnten kommen. So muss niemand diese Last alleine tragen. In den letzten Tagen ihres Lebens ist sie keine Sekunde alleine. Sie wird schon nicht mehr richtig wach, liegt in einem unruhigen Schlaf. Immer sitzt jemand an ihrem Bett und hält ihre Hände. Einer links, der andere auf der rechten Seite- dort, wo im großen Ehebett vor vielen Jahren der Bappe schlief. Eine ganze Zeit darf ich diesen Platz einnehmen und halte ihre rauhe, runzlige, schöne Hand. Eine überwältigende Zahl von Menschen wechselt sich ab am Bett, nach und nach tauchen immer mehr auf. Nehmen Abschied, so wie sie es können. Sitzen eine Zeitlang alleine am Bett, zu zweit oder zu dritt, streicheln sie, oder betrachten sie nur. Schweigen oder sprechen leise.
Seltsam, wieviel Schönheit in einem verrunzelten Antlitz liegt. Ohne Brille, ohne den Zahnersatz mit eingefallenen Wangen und Mundwinkeln. Seltsam fremd und bis in die kleinste Falte vertraut.
Immer wieder zuckt sie unruhig hoch und murmelt atemlos wirre Worte, mit rauer Stimme, fast nicht mehr zu verstehen. Kend, Erbel ausdohn. Die Stecker noch schmeere. Sinn alle Kinner em Bett? Resi, hos dou dot Dorti end Bett gebrocht? Kind, Kartoffeln ernten. Brote schmieren. Sind alle Kinder im Bett? Resi, hast du die Kleinste ins Bett gebracht?
Ich lausche, bis ich verstehe, was sie immer wieder murmelt und die ständige Wiederholung wird wie ein Mantra in meinem Kopf.

Alle Erbel sin ausgemacht, die Sahne ess geschloon, gieh nur, dou kanns giehn.
Alle Stecker sin geschmeert, die Kinner all em Bett,
alle Stremp hos de gestreckt, alle Kuche gebacke.
All die Orwet ess gedohn.
Schloof, Mamme, schloof.
De Bappe wärt of dich, un guck, all die annere och, die schun fiergange sin.
Leh dich schloofe, Mamme, leh dich hen un schloof en Ruh en.
Mir sin all hei bei der, dou kanns giehn.
All dei Kinner sin gekumme un mir haale dir die Hänn.

Schloof, Mamme, schloof.

Alle Kartoffeln sind geerntet, die Sahne geschlagen, geh nur, du kannst gehen.
Alle Brote sind geschmiert, die Kinder alle im Bett,
alle Strümpfe hast du gestrickt, alle Kuchen gebacken.
Alle Arbeit ist getan.
Schlaf, Mama, schlaf.
Der Papa wartet auf dich, und all die anderen auch, die schon vorgegangen sind.
Wir sind alle hier bei dir, du kannst gehen.
Alle deine Kinder sind gekommen und wir halten dir die Hände.

Schlaf, Mama, schlaf.

Am Abend des dritten Tages werden ihre Atemzüge flacher. Die Gesichtsfarbe verändert sich, sie wird ruhiger. Als sie das letzte Mal ausatmet, tut sie das im Kreis ihrer großen Familie.
Schrecklich. Kaum auszuhalten. Und nicht tröstlicher vorstellbar.

Oma Maria (Mamme) 03.10.1921 – 08.08.2012
Neun Kinder, Zweiundzwanzig Enkelkinder, Neun Urenkel

Gott walt´s. Jo.

Doro Michel

2 Gedanken zu „1000 Tode schreiben

  1. Hallo Doro,
    danke für alles was du hier schreibst. Wie schön und humorvoll du schreibst! Ich freu mich mit Dir! in einem Buch zu sein. Ich bin seit der Version 3.1 drin. Unter 400 zu lesen :-).
    Weiterhin viel Spaß beim Schreiben.
    Herzlich
    Petra

  2. Pingback: 1000 Tode schreiben |

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert