Ich dachte, ich hätte es überstanden.
Ehrlich, ich Naivling dachte, ich wäre damit durch. Aber, um die Pointe heute mal vorweg zu nehmen: auf dem 2. Elternabend der fünften Klasse (weiterführende Schule, hurra! Das Kind ist groß! Selbständig!) schlug doch tatsächlich eine Mutter (ich möchte sie im folgenden die „Helikopterin“ nennen, mach ich aber besser nicht, wegen Wertschätzung, Mitmenschen, Nächstenliebe und dem ganzen Kram) vor, die Eltern könnten doch mal ein Klassenfest organisieren.
Klassenfest.
Moment, ich muss erst mal den Schmerz wegatmen.
Atmen…
Atmen…
Ok, geht wieder.
Leute. Es läuft doch eigentlich so: Ihr managt das mit dem Kind die ersten Jahre echt prima alleine, teilweise mit der Unterstützung irgendeines progressiven Kindergartens, und dann kommt die Schulzeit. Einschulung, erste, zweite, dritte Klasse undsoweiter und jedes Jahr kommt ihr eurem Ziel näher: die Kinder sollen endlich selbständig werden, ihren Schulkram alleine wuppen, mit Freunden abhängen, ihr Kinderzeug erledigen, was so Kids halt alles tagsüber tun müssen, Schnappschüsse via Snapchat verschicken, Pokemon vermöbeln und Bösewichte liebhaben oder umgekehrt und all das, von mir aus auch gerne Bescheid sagen wenn sie Hilfe beim Auswendiglernen der hessischen Mittelgebirge (oder niedersächsischen oder ach ihr wißt schon) brauchen, aber die grobe Richtung geht in: Do your own Thing. Und das möglichst bald.
Gut: in der Grundschule ist noch mehr Elternpräsenz gefragt. Oder sagen wir es so: die Kids finden es okay, wenn die Eltern jährlich das Klassenfest/die Weihnachtsfeier/irgendwelche Bastelkramnachmittage organisieren und stören sich nicht an der Anwesenheit der Eltern. (Ich mich schon, aber darum gehts hier ja nicht.) Höchtswahrscheinlich wären ihnen Klassenfeste ohne Eltern genauso recht, aber mach das mal so einem Helikopter klar.
Die Grundschule meines Sohnes war nicht nur von der Größe (200 Schüler! Hurra!), sondern vor allem vom Konzept her ein Traum. Keine Hausaufgaben, kein Frontalunterricht, kein stures Einbimsen von Wissen, stattdessen Lernzeit zum Wiederholen des Gelernten in der Schule, Gruppenarbeit, Projekte und vor allem Zuwendung und Vertrauen. Wie lerne ich Lernen? Wie organisiere ich mein Lernen, was kann ich, was verstehe ich noch nicht, wo brauche und wo finde ich Hilfe, und wo kann ich anderen helfen? Erfolgserlebnisse, Motivation und Selbstvertrauen statt Hausaufgabenstriche und Elterngespräche.
Mit anderen Worten: eine grundpositive Haltung zum Kind und seinen Fähigkeiten.
(Im Ernst, ich war letzten Sommer in einer Familie, da hatte das Kind nach drei Wochen 1. Klasse schon fünf (FÜNF!!!) Hausaufgabenstriche und eine Aufforderung zum Elterngespräch. What the fuck? Ich kann nicht soviel essen, wie ich….)
Das heißt: Im Gegensatz zu früher (früher: die Schulzeit meiner Eltern und teilweise auch noch meine eigene) in der bei viel zu vielen Lehrern die Schüler noch unter dem Generalverdacht standen, ohnehin nur faul! ihren eigenen Interessen! nachzugehen und ohne Disziplin! Ordnung! ständiger Kontrolle! und genügend Strafen! als kompletter Versager zu enden, haben offensichtlich sehr viele Menschen heute schon begriffen, dass anders ein Schuh draus wird. (Man bedenke: wenn alle Schüler/innen, denen vorhergesagt wurde, dass sie mit ihren schlechten Noten und ihrer miesen Arbeitseinstellung höchstens Müllmann oder Putzfrau werden könnten (eine Beleidigung für alle Entsorgungstechniker und Reinigungskräfte, aber damals war das eine sehr beliebte düstere Prophezeiung), tatsächlich diesen Weg eingeschlagen hätten, wäre es hier zwar sehr sauber, aber letzten Endes vermutlich menschenleer ohne all die anderen Berufe, die das Überleben der Menschheit sichern. Ärzte, Landwirte, Telefondesinfizierer…
Aber es gibt immer noch die, die ohne stetige Kontrolle und Überwachung ihrer Kinder nicht können. Schlimm genug, dass es keine Hausaufgaben mehr gibt. (Das Vaterland wird zugrunde gehen, WEIL ES KEINE HAUSAUFGABEN MEHR GIBT!) Im Bullshit-Bingo an erster Stelle: „Wenn ich nicht ständig hinterher wäre, würde mein Kind freiwiilig überhaupt nichts für die Schule tun“ oder „wieso kriegen wir nicht wöchentlich eine Information über den Lernstand meines Kindes?“
Ich meine: da erklärt der Klassenlehrer lang und breit das Konzept, erzählt von Vertrauen in die Fähigkeiten der Schüler, dass die Kinder motiviert sind, eine hohe soziale Kompetenz entwickeln, sich gegenseitig helfen, dass es ungewöhnlich ruhig in der Lernzeit ist und die Kinder allgemein offensichtlich sehr gut zurechtkommen in dem System und vor allem, dass die 5. Klassen mit dem neuen System in allen Arbeiten des ersten Halbjahres besser abschnitten als alle vorherigen 5. Klassen!
Und einigen Elternteilen fällt nix besseres ein, als zustimmend zu nicken und dann zu fragen, wie sie denn jetzt am besten eine genaue Kontrolle des Lernstands ihrer Kinder vornehmen können, wie sie sicher sein können, dass die Kinder auch ja alles Lernmaterial daheim abliefern und ob die Eltern denn nicht mal ein tolles Klassenfest für ihre Kinder organisieren wollen.
Haben die nix kapiert? Vertrauen? Selbständigkeit? Oh Mann.
Und ich schwöre: die sind alle in der Klasse meines Sohnes. Man muss sich nur mal die WhatsApp-Elterngruppe anschauen: Slapstick in Reinkultur! Diese ständigen Nachfragen, wer mal das Arbeitsblatt mit den Textaufgaben zuhause hat um es zu fotografieren, der Sohn hat es NATÜRLICH in der Schule „vergessen“ oder welche Seite im Englischbuch sie für die Lernzeit machen sollen oder ob jemand jetzt weiß, wann die Lernkontrolle in Deutsch geschrieben wird?
Ich bin wirklich gefangen zwischen Faszination und Abscheu. Ich meine, merken die noch irgendwas? Irgendwann, ich schwöre es, erwischt mich so eine WhatsApp auf dem falschen Fuß und ich antworte den Helikoptern: fragt doch verdammt noch mal bitte eure KINDER!
Ich dachte wirklich, die Eltern, die ihre Kinder zur Uni begleiten und ihnen die Bücher tragen, sind eine Erfindung der „Früher war alles besser“-Lobby. Sind sie nicht, ich habe sie kennengelernt. Und sie wollen ein Klassenfest organisieren. *heul*
Für die, die es vergessen haben: Klassenfest ist die Fortsetzung des *Kindergartengruppen*- (hier wahlweise *Mäuse*, *Pfützentrolle*, *Sonnensterne* oder *sonsteinbescheuerterName* einsetzen) festes. Die Erfahrung zeigt: solche Kindergartenfeste dienen lediglich zum Glänzen mit den neuesten Fingerfood-, Salat- oder Kuchenrezepten der Übermütter während die wenigen vorhandenen Männer verzweifelt Fußballergebnisse googeln und Frauen wie ich sich verfluchen, dass sie nicht wenigstens Sekt in ihre Trinkflasche umgefüllt haben. Boah, wie überflüssig ich diese „wir wollen uns alle mal kennenlernen“ Veranstaltungen finde. Am besten noch mit Vorstellungsrunde. Ich gebe hiermit bekannt: Man lernt auf solchen Events niemanden kennen. Vergesst es. Sollte es Gespräche außerhalb der Eltern-Lehrerbeziehung geben, dann nur innerfamiliär oder mit vorher schon befreundeten Eltern. Niemals lernt irgendein Elter ein anderes Elter auf einem Klassenfest kennen. No way. Selbst Parship hat hier keine Chance. Das liegt daran, das 90 % der Eltern gewzwungenermaßen dort sind und wesentlich lieber woanders wären (und das auch grinchmäßig ausstrahlen). Beim Zahnarzt oder so.
Und ganz sicher nicht auf dem Elternstammtisch, der zweiten der biblischen Plagen. Noch schlimmer! Eltern sitzen zusammen und plappern über die schulischen Belange ihrer KInder. (WhatsApp: Wir können da ja mal über das Konzept der Schule diskutieren und Verbesserungsvorschläge an den Lehrer weiterleiten. Entschuldigung? Die haben doch den Schuß nicht gehört.) Sorry, aber das ist megaübergriffig. Es geht doch niemanden etwas an, was mein Kind für Schwierigkeiten in der Schule hat? (Wie die das wohl finden, wenn ihre Kinder später mal einen Kinderstammtisch gründen und dabei mit Augenrollen austauschen dass Muttern das Wasser nicht mehr halten kann und Vattern schon wieder die Herdplatte angelassen hat?)
Ich fasse zusammen: wenn man schon mit einer so fortschrittlichen Schule und engagierten Lehrern gesegnet ist wie wir, dann macht man vor allem eins: sich raushalten.
Ab dem 5. Schuljahr haben die Eltern meiner Meinung nach sowieso nichts mehr in der Gruppendynamik der Schulklasse ihrer Kinder zu suchen und kaspern da gefälligst nur herum, wenn sie gebeten werden und zwar von den Kindern. Egal, ob bei den Lerninhalten oder irgendwelchen Veranstaltungen.
Wie sollen die Kinder Selbständigkeit lernen, wenn ständig alles von den Eltern durchorganisiert wird? Kein Wunder, das die nix auf die Kette kriegen, wenn das immer schon so läuft.
Viel Spaß bei der Berufsausbildung. Ach nee, Studium. Die Helikopterkinder müssen ja alle auf Teufel komm raus studieren gehen.
Jetzt hab ich sie doch Helikopter genannt. Ups.