Nu aber hopp

sonst ist der April schon vorbei ohne ein einziges Piep aus dieser Ecke.

Das Highlight des Jahres- der Urlaub im Ausland (Ausland! Wir! Wahnsinn!) liegt leider schon hinter uns. Die beiden Wochen um Ostern herum verbrachten wir auf der kanarischen Insel La Palma, ja genau, da wo die ganzen Freaks hinfliegen die den ganzen Tag in der Gegend umherwandern wollen. Alles unter 10 Längenkilometer und 500 Höhenmeter ist ein Spaziergang und so- Verrückte halt, wir verstehen uns.
War uns aber wurscht, wir wollte einfach nur hin um etwas Wärme und Grünzeug zu genießen, außerdem wünschte sich Junior letztes Jahr dass wir auch endlich mal auf einer Insel mit Palmen und Strand Urlaub machen und sein Wunsch ist uns wie immer Befehl, und nicht zuletzt muss man auf der Insel ja auch mal bißchen den Durchschnitt an deutschen Oberstudienräten, Grünen und Wanderern senken.
Blöderweise war das erste spanische was ich sah, dieses Zeichen im Eingang des Flugzeuges in Madrid (26.3. Hinflug von Frankfurt über Madrid nach La Palma):

Keine Ahnung was das da untendrunter heißt, sowas wie: „beim Absturz mit dem Kopf nach unten fallen damit es schneller vorbei ist“ oder so, aber ich hielt es für ein Originalschild und entsprechend unentspannt war ich wieder mal beim Start und bei der Landung. Es ist mir ja nach wie vor ein absolutes Rätsel wie diese riesigen Stahlkolosse sich in der Luft oben halten, aber da ich nicht schreiend und „wir werden alle sterbäään“ brüllend durchs Flugzeug rennen möchte zwinge ich mich während des Fluges, an andere Dinge zu denken. Differentialberechnungen im Zusammenhang zur Erderwärmung und so Zeugs. Hilft.
Tja, was soll ich sagen: der Plan mit Wärme und Grün ging auf:

Bis zu diesem Zeitpunkt wußte ich ehrlich nicht, wie sehr mir in den letzten Wochen ein paar Grad mehr und grüne Umwelt gefehlt haben. Die ersten Tage hätte ich am liebsten jedes Blümlein und Büschlein geknutscht. Waren aber meistens Kakteen, also liess ichs lieber sein.
Die zweite große Urlaubsliebe: einfach nur am Meer sitzen oder langlaufen und die Brandung beobachten.

Machen zumindest die erwachsenen Teile der Familie am allerliebsten, Junior scheuchte derweil die Krebse, beziehungsweise liess sich scheuchen wenn einer in seine Richtung drehte. Ich kanns nicht ändern, aber das Rauschen von Meeresbrandung gibt mir wirklich eine innere Ruhe. Und davon gabs mehr als genug auf La Palma.

Was mir hingegen sehr zwiespältige Gefühle bereitete, waren die Berge, bzw die Höhen:

Es schafft einfach keine mir verfügbare Kamera, die Dimensionen dieser Abgründe einzufangen. In diesem Urlaub stellte ich jedenfalls eine fast schon paranoide Angst vor Abgründen fest, so dass ich mich bei verschiedenen Gelegenheiten von Junior fernhalten musste weil ich sonst bei dem Versuch, ihn vor einem Absturz zu retten uns beide umgebracht hätte. Natürlich war es nicht soo gefährlich, WENN man nicht vom Weg abkam, aber es gab halt keine Geländer und der freie Blick nach unten ließ mir ein paar Mal den Herzschlag gefrieren. Ich meine, meine Familie besteht fast nur aus Wandervögeln, die solche Aussichten GENIESSEN während ich mich mit butterweichen Knien an irgendwelchen Felsen festklammere, uaahh! Da hab ich wohl ein paar Gene von der falschen Seite abgekriegt. Ich meine: Hallo? Die erste Woche habe ich fast jede Nacht von Abstürzen geträumt *schwitz*.
Da meine bessere Hälfte zum Glück unter Höhenangst leidet (gut für mich), konnten wir eher dahin gehen, wo es mir besser gefällt, nämlich nach unten. Da gabs immer noch genug Steilküsten und Gefälle- schliesslich ist La Palma im Prinzip die steilste Insel der Welt, auf ihre winzige Grundfläche gesehen.

Unten konnten wir uns Häuser angucken, das ist ja eher mein Ding. Ich bin ja ohnehin so ein Glotzer und muss beim Bummeln ständig stehen bleiben um die Häuser, Balkönchen, Vorgärten undsoweiter zu bewundern, da hatte ich auf La Palma mehr als genug zu tun.

Und ein paar Merkwürdigkeiten gabs natürlich auch.
Ein sehr nettes Land, in dem die Autofahrer gewarnt werden „Achtung, hier könnten Leute auf der Straße rumliegen“. Toll.

Und für die deutschen Touristen extra auf dem Bauernmarkt das „Grünen-Gründungsjahr-Gedächtnis-Dinkelbrötchen“. So hart jedenfalls. Aber mit Regenbogen. Alles ökologisch und so.

Schmeckte leider *blärch*, aber ich war trotzdem begeistert. Der Bäcker und Verkäufer des Brötchens sah nämlich aus wie ein verhärmter Wiedergänger von Jupp. Jupp war der Biobäcker im Westerwald, der stets Dienstags mit seinem qualmenden und stinkenden, zu einer Ökobäckereifiliale umgebauten Kleinbus über die Dörfer knatterte um seine zugegebenermaßen sauleckeren Vollkornbrote und Vollkornbrötchen auszuliefern, die von meiner äußerst ernährungsbewußten Paten(öko)tante in fußballmannschaftsgeeigneten Großmengen abgenommen wurden. Musste ja bis nächsten Dienstag reichen.
Der sah allerdings damals schon aus als bekäme er das Wasser nicht gewärmt. Ich weiß gar nicht ob er noch lebt und vielleicht in seiner Backstube noch vor sich hinschrotet und bäckt oder ob er vielleicht tatsächlich nach La Palma ausgewandert ist.
Leider war ich zu gut erzogen um den deutsch-palmesischen Vollkornbäcker zu fotografieren, ich konnte ja schlecht sagen „Entschuldigen Sie, sie sehen aus wie der verhärmte Vollkornbäcker aus meiner Jugend, dürfte ich aus Gründen der familiären Nachrecherche mal ein Bild von ihrem ergrauten Haupt machen?“
Jedenfalls weiß Junior jetzt wie der Klischeegrüne aussieht, nämlich genauso: Jesuslatschen, Hanfhosen, vergilbtes Leinenhemd, wirre graue Haare, stoppeligfaltiges Antlitz und vom Körperbau her der klassische Ektomorphus humanoides: groß und dürr (das kommt vom Körnerfutter, ich schwörs!), sieht quasi aus als fiele er jeden Moment tot um.
Außer dem Klischeegrünen bot die Insel auch noch den von mir längst ausgestorben geglaubten Hippie.
Auch von diesen Exemplaren konnte ich aus obigen Gründen natürlich keine Fotos machen, aber das hatte auch damit zu tun dass ich beschäftigt damit war, nicht zu sehr zu starren. Die hatte ich nämlich auch zuletzt in meiner Jugend gesehen und hier tauchten sie alle wieder quicklebendig auf, keinen Tag gealtert. Schweinerei. Die Hippies (Jesuslatschen, Sarouelhosen, freie Oberkörper; bei den Damen unverschämt gut aussehende knappe Tanktops mit knappen Leinenhemdchen drüber, Buddhakettchen und am wichtigsten: Dreadlocks!) hielten sich meist dekorativ an der Strandpromenade auf, betont lässig und jonglierend das Establishment verachtend, nachts konnte man sie im Schein von Taschenlampen (oder Öllampen?) die Serpentinen an der Steilwand emporziehen sehen zu ihren Schlafhöhlen (natürliche Höhlen in der Lava, die vor vielen Jahren schon von den damals noch zahlreichen Ziegenhirten mangels Komfort aufgegeben wurden).
Diesen Menschenschlag fand ich als Jungtier ziemlich cool, inzwischen bin ich aber heilfroh dass ich Spießer geworden bin. In einer ehemaligen Ziegenhöhle würde ich mich eher nicht so wohlfühlen, dann lieber eine Ferienwohnung mit verkalkter Duscharmatur (die zum Glück erst am letzten Morgen abbrach). Und geh mir fort mit Dreadlocks, da schwitzt man doch drunter!

Wir haben natürlich noch viel mehr gesehen und erlebt, aber das ist dann eher das Thema für unser privates Fotobuch, das ich endlich mal anfangen sollte…

Auf La Palma waren wir jedenfalls sicher nicht das letzte Mal. (Sofern wir nächstes Mal einen Direktflug kriegen, grrrr- einmal Start und Landung reicht vollkommen!)
Perfekt getimt war unsere Ankunft zuhause (6.April La Palma-Madrid-Frankfurt). Pünktlich nach unserer Rückkehr begann auch hier der Frühling, so fiel der Abschied vom Urlaub und der Neustart in Arbeit und Schule nicht ganz so schwer, selbst der Pinguin im Opelzoo freut sich an den Temperaturen…

Hier noch ein kleines Video von den Niagara-Wolken, wie Junior sie getauft hat:

Valentinstag

Heute ist der Tag, an dem die Timeline wieder von Sinnsprüchen über die Liebe, tolle Last-Minute-DIY-Ideen und Rezepten für süße Geschenke in Herzform wimmelt.
Jo.
Ich brauch keinen Valentinstag. Liebe, Aufmerksamkeit und kleine Geschenke geben wir uns hier übers Jahr genug, und meistens nervt mich der Valentinstag in meiner Arroganz vom hohen Roß einer intakten Beziehung runter nur und ich kann ihn als reine Geschäftemacherei entlarven.
Aber heute war ich in einer Familie, da bekam die Mutter einen Anruf, sie solle sich mit ihrem Mann im Aldi treffen und sie bat mich, eine halbe Stunde alleine mit ihren Kindern (und meiner Tasche voll Spielzeug😜) zu bleiben. Als die Mutter zurückkam, erzählte sie, ihr Mann (vor dem sie schon mehrfach ins Frauenhaus flüchten wollte) habe ihr zum Valentinstag einen Einkauf bei Aldi geschenkt, sie solle den Wagen nur vollmachen, er würde alles bezahlen…

Wie jede Geschichte, hat auch diese natürlich verschiedene Wahrheiten und Hintergründe, aber trotzdem:
Da gibt es einen „Feiertag“, an dem mit großem Werbeaufwand möglichst viele Luxusgüter vertickt werden sollen, und jemand bekommt einen Lebensmitteleinkauf bei Aldi geschenkt.
Daran werde ich jetzt jeden Valentinstag denken.

 

Ich selbst habe übrigens doch etwas zum Valentinstag bekommen, nämlich ein nettes Schreiben der Stadtverwaltung und einen Gutschein. Der Gutschein ist seltsam- scheinbar darf ich der Stadtkasse 15,- Euro überweisen und bekomme dafür ein Bild von mir. Leider ist das Bild nicht sehr vorteilhaft. Grobkörnig und schwarzweiß.
Mal sehen, ob ich aus der Nummer wieder rauskomme- ich könnte die 15,- Euro ja auch bei Aldi ausgeben. Oder für Tafeltüten.

Veröffentlicht unter Leben

Stadt und Land

Wenn einem selbst schon nix gescheites zum Schreiben einfällt, muss man manchmal nur schauen was andere so für Fragen haben. Da macht man sich dann auch mal Gedanken über Themen die man sonst nicht so auf dem Schirm hat, in diesem Fall sogar passend zu meinem vorletzten Post zum Thema „Meine Straße“.

Susanne aus Wien hat sich Gedanken über die Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben gemacht und daher eine ganzjährigen Blogparade zu diesem Thema ins Leben gerufen.
Ich mag es ja sehr, über den Tellerrand, bzw über die Grenzen der eigenen Lebensumstände rauszuschauen und zu gucken: wie leben eigentlich andere Leute so? Dazu passt perfekt mein Beruf: Da ich ja an drei Tagen in der Woche zu verschiedensten Familien nachhause gehe, sehe ich ziemlich viele unterschiedliche Ortschaften, Viertel, Häuser, Wohnungen im ganzen Kreisgebiet. Und zwar in beide Richtungen der Bevölkerungsschichten: vom Plattenbau im sozialen Brennpunkt (wobei man nicht vergessen darf, dass es in unserem reichen Kreis nicht wirklich „brennt“ wie woanders- jeder Frankfurter Streetworker liegt jetzt lachend unterm Tisch) bis zur Hipsterwohnung im angesagten Viertel. Dabei schaue ich mir immer sehr aufmerksam die Gegend und die verschiedenen Wohnformen an (und fahre auf dem Hin- und Rückweg extra langsam und aufmerksam glotzend durchs Viertel) und bei so manchem Haus würde ich am liebsten einfach klingeln und fragen ob ich mal drin gucken darf. Man kann es Neugier nennen, ich nenne es lieber soziales Interesse…:-)
Ich meine, meine eigene Hood kenne ich ja nun zur Genüge, yo.🤘

Im Februar lautet das Thema bei Susanne also „Stadt und Land im Februar: Der Verkehr, die Autos & so“.
Um gleich mal auf den Punkt zu kommen: Selbstverständlich braucht man hier ein Auto. Wir leben hier trotz der Nähe zum Rhein-Main-Gebiet verkehrstechnisch gesehen am Arsch der Welt. Es mag der schönste sein, aber es ist definitiv der Arsch der Welt. Ohne Auto hat man zwar die Möglichkeit, morgens um sieben in einem absolut überfüllten Bus mit einer Horde Schulkinder in Richtung größerer Dörfer zu fahren, in der Hoffnung, mit allen Körperteilen dran anzukommen, oder man fährt etwas später zu einer Uhrzeit, zu der man höchstens einkaufen gehen, aber nie und nimmer pünktlich auf irgendeiner Arbeit ankommen kann. Aber wie gesagt: es geht nur bis zum nächsten größeren Dorf, dann muss man umsteigen und sich so mühsam dem Ziel annähern. Mein Mann arbeitet in der kleineren Stadt direkt neben der großen Stadt- eine Strecke fünfzig Kilometer. Mit dem Auto früh um fünf (mit Turbo) zwar nur 35 Minuten (nachmittags 45), mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit mehrfach umsteigen aber anderthalb Stunden, und das nur wenn alle Verbindungen klappen. Also eher selten.
(In meinem Job ist an ohne Auto gar nicht zu denken, da ich im ganzen Kreisgebiet herumfahre und das zu täglich wechselnden Zeiten. No way.)
Einkaufen ohne Auto? Der Supermarkt im nächsten Ort, der Metzger auch, aber im anderen Ort, in der ganz anderen Richtung. Drogeriemarkt, Buchhandlung, Friseur, Nähhimmel jeweils in einem anderen Dorf, ganz zu schweigen vom Bauern, wo ich die Milch und die Eier hole.
Alles schön verteilt in einem Umkreis von 10-15 Kilometern, das ist mit Bussen nicht zu schaffen wenn man nebenher auch noch arbeiten geht, selbst wenn sie pünktlich wären, was vor allem im Winter eher nicht so oft der Fall ist.
Hier hat also jeder ein eigenes Auto, was die Frage nach dem Parkraum aufwirft. Da die meisten Leute im Dorf auch ein eigenes Haus haben (wo sonst kann man sich das noch leisten?), befinden sich im Idealfall genügend Stellplätze auf dem Grundstück. Nur mal als Lacher für alle Städter: als wir das Haus gebaut haben, mussten wir bei drei Wohneinheiten fünf Stellplätze nachweisen. FÜNF. (Wer die nicht nachweisen kann, muss Ablöse zahlen, mehrere tausend Tacken für einen Stellplatz. Theoretisch. )
An solche lustigen Regeln hält sich auf dem Kaff natürlich kaum einer (zum Glück auch selten die Verwaltung) und alle klatschen ihre Karren munter an die Straße.

Natürlich haben wir wirklich ständig Stress mit diesen unmöglichen Wildparkern (das können nur Stadtflüchtlinge sein). Da hat man so eine schöne Straße direkt vor dem Haus, hat sie Samstags ordentlich gefegt, jedes Läubchen und Blättchen aus dem Flessjen (dieser Streifen zwischen Asphalt und Bürgersteig, da wo im Idealfall bei Regen das Wasser langfliesst, wie verdammt heisst der eigentlich wirklich?) gefriemelt*, damit die Nachbarn nicht schon wieder so kritisch gucken und dann kommt da so ein Honk aus der nächsten Straße und STELLT SICH DA EINFACH HIN!
Ein echter Dörfler kriegt da Schnappatmung. Nicht nur (aber vor allem natürlich), weils die Optik stört (und das ist verdammt nochmal MEIN Grundstück). Aber so ein Riesenmüllauto zum Beispiel kommt zwar am Fiat Panda der Nachbarin locker vorbei, aber wenn im Sommer die Bäume ihre Äste weit über die Straße recken und dann auch noch der neue Mieter von Müllers mit seinem Sprinter am Straßenrand steht, wird es lustig und man hat hoffentlich genug Popcorn und Getränk mit auf dem Balkon um die Schimpftirade des türkischen Müllfahrers zu genießen.
(Aber mal im Ernst: manche Leute parken echt hirnlos. Direkt gegenüber einer winzigen T-Kreuzung zum Beispiel. Im täglichen Anwohnerverkehr kein Problem. Blöd nur, dass die LKW-Navis ihre Fahrer immer genau dieses kleine, ohnehin schon arschenge Sträßchen runterschicken. Und so ein 40-Tonner mit Anhänger braucht halt ein bißchen Platz… Da wird man schon mal frühmorgens von einer volltönenden Hupe aus dem Schlaf gerissen, so dass man denkt, was zum Teufel hupt das blöde Kreuzfahrtschiff hier rum. Die Hupen. Die Hupen von großen LKW hören sich an wie Schiffshupen. Sirenen. Was weiß ich wie die heißen. Ist es nicht?)

Fahrradfahren ist hier übrigens natürlich eine Option.
Wenn man unbedingt für die Tour de France trainieren will.
Bergauf, bergab, egal wohin man will, die geologischen Aktivitäten der letzten Millionen Jahre haben in unserer Gegend vor jedes Ziel mindestens drei vollkommen unnötige Hügel geklatscht. Man käme wesentlich schneller an, wenn alles flach wäre, aber nein, keuchkeuch, den Berg hoch, huuuiii, runter, keuchkeuch, wieder hoch, huuiii undsoweiter, bis man endlich auf der exakt gleichen Höhe über NN angekommen ist wie vorher, nur halt höhenmäßig mit vielen Umwegen. Das heißt: wer Fahrradfahren will ohne Tour de France-Trainingseinheit, schnallt die Drahtesel aufs Auto, fährt die halbe Stunde bis zur Lahn und dann in flachem Gelände dreissig Kilometer hin und zurück. Natürlich nur bei gutem Wetter. Und eingekauft hat man dann auch noch nix.
Wir stellen also fest: wenn eins aufs Land zieht, hat es frische Luft, viel Natur und eine tolle Gegend (und Menschen! Viele tolle Mitmenschen! Ok, ein paar Arschnasen sind auch dabei, aber hey- die kann man ja ignorieren.) Dafür keine Blechlawinen, keine Abgaswolken, keinen permanenten Straßenlärm, aber auf eins kann es nicht verzichten: das Auto.

Und nun, nur um die wettermäßig gräßlichen Bilder von weiter oben aus den Köpfen zu kriegen, hier ein Bild von einem meiner liebsten Verkehrsmittel, so ruhig, so majestätisch, so sehr Sommer, Gin Tonic auf dem Balkon und schönes Wetter:

Ich kanns kaum erwarten.

*Das ist natürlich glatt gelogen. In einer perfekten Welt wäre das zwar tatsächlich so. „Samstags wird die Gass gekehrt“ ist Grundanforderung auf dem Dorf, aber nunja, was soll ich sagen. Wer eine ordentlich gepflegte Straße sehen will, muss bitte ein paar Schritte weitergehen… Mal ehrlich, wir wohnen am Waldrand. Wald! Da kann man immer sehr schön beobachten, wie Mutter Natur sich jedes Jahr neue Strategien zur Rückeroberung ihres Lebensraums ausdenkt. In einem Jahr sind es Milliarden von Eicheln, die wie ein dichter Teppich die Straße bedecken, im nächsten Jahr keine einzige Eichel, dafür kommt uns besonders in sehr regenreichen oder sehr dürren Jahren kubikmeterweise der Waldboden besuchen, breitet sich über die Straße aus und versucht, das Grundstück zu bedecken, oder unzählige Löwenzähnchen wachsen nicht nur teppichartig auf dem Grundstück, sondern auch aus jeder Ritze im Asphalt (und ich meine JEDE Ritze) heraus und knabbern unablässig an den menschlichen Artefakten wie Bordsteinkanten, Strassenbelag und Pflastersteinen- ich meine, wer sich auf diesen aussichtslosen Kampf einläßt, hat eh schon das Ticket in die nächste psychiatrische Abteilung gezogen. Und Zwangsjacken stehen mir nicht so gut.
Also lass ichs, mach doch was du willst, Natur. Hauptsache man findet im wuchernden Dschungel Haus und Auto wieder, der Rest erledigt sich von allein bis zur nächsten Saison.

Jahresrückblick 2017

Wo ist das Jahr nur so schnell hin? Zumindest im Blog war im Jahr 2017 nicht so sehr viel zu lesen- von der Anzahl der sonst üblichen Posts her bin ich gefühlt höchstens im Juli angelangt. Stattdessen ist heute schon Silvester.
Woran liegts? Zu Zeiten als der Blog noch gut gefüllt war mit Nähergebnissen, blödsinnigem Gequatsche und Nichtigkeiten, hatte ich tatsächlich noch Zeit für meine Hobbys. *Damals* hatte ich noch mindestens zwei Vormittage und zwei Nachmittage in der Woche komplett frei und konnte sowohl nähen als auch bloggen, Posts vorbereiten, Bilder bearbeiten undsoweiter. Heute reicht die Zeit gerade mal noch zum Nähen. Das ist einerseits schön, weil ich die Zeit, die mir persönlich verloren ging, mit dem schönsten Nebenjob der Welt verbringen darf (Stoffe! Kurzwaren! Schnittmuster! Ein Traum!!) aber andererseits. Eben. Und bisher hat leider noch niemand ein gutes Mittel zur Schlafreduzierung erfunden, ich muss immer viiiiel schlafen, sonst bin ich eklig.

Januar:
Spielenachmittag im Sportheim. Jeder bringt Spiele mit und Plätzchenreste und dann wird alles querbeet durchprobiert. Schön war das wieder, sogar die Alten saßen da und verlegten ihr Skatspiel zu uns.

Und Schnee. Ordentlich Schnee.

Februar:
Das beschreibt das vorherrschende Gefühl im Februar ganz gut:

Beim Zurückblättern im Jahr stelle ich fest, dass ich mich über das geklaute Bild immer noch ärgere und wundere. Wundere, weil mir immer noch nicht klar ist, woher die das hatten.

März:
Aus Gründen entschieden wir uns für den Kauf einer Matratze im Internet.

Was dazu führte, dass die nächsten Monate eine Riesenkiste als Zweitwohnung im Zimmer unseres Sohnes stand.

April:
Der April war deutlich der Monat mit der meisten Bewegung. Wochenende in der Pfalz, Wanderung auf dem Zacken-Beilstein-Steig und die Erkundung der alten Opel-Villa, das waren sehr schöne Ausflüge. Ein Wanderurlaub sozusagen. Dazu angenehmes T-Shirtwetter- wunderbar.

Mai:
Der April endete und der Mai begann mit einem heftigen grippalen Infekt meinerseits (mit Fieber! Wann hab ich mal Fieber?) ausgerechnet an der Konfirmation im Norden und zwei Tagen später einer richtig fiesen Magen-Darm-Grippe unseres Juniors. Blöderweise sind wir das erste Mal mit dem Zug in den Norden gefahren, was bedeutete, dass Junior eine sehr unangenehme Heimfahrt hatte (und die Mitreisenden, die nach ihm auf der Zugtoilette waren, auch. 🤢 Wir entschuldigen uns in aller Form, konnten aber nichts dran ändern). Zwischenzeitlich habe ich kurz überlegt, ob wir einen Arzt aufsuchen müssen, aber es war der erste Mai, die hatten ja auch alle Feiertag. Junior war anschliessend zwei Wochen krank und nicht fähig, zur Schule zu gehen.
Den Kopfschüttler des Jahres habe ich auch aus dem Mai mitgenommen:

Die Wahlbenachrichtigung des Landes Schleswig-Holstein zur „Land-Tags-Wahl“. Ich fasse es nicht, wer hat sich bloß diesen Mist ausgedacht? Einfache Schrift ist ja eine gute Sache und ganz sicher ist es wünschenswert, so manches Behördendeutsch mal wieder auf ein dem Normalbürger verständliches Maß zu übersetzen (ich hätte da auch gleich schon eine bis fünfzehn Ideen, angefangen bei: „Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“, Elterngeldantrag, Kindergeldantrag und, immer wieder mein Favorit: „Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe nach Paragraph schlagmichtot“), aber deshalb muss man doch nicht sämtliche „Recht-Schreibung“ auf den Kopf stellen.
Eine „Voll-Macht“. *KopfaufdenTischhau*
Und nein, das war nicht der „Wahl-Schein“ für eine speziell ausgewählte „Bevölkerungs-Gruppe“, der man nicht zutraut, sich alleine die Schuhe zu binden. Das war einer für alle.

Juni:
Der stand zum einen ganz im Zeichen des 60-jährigen Jubiläums des TuS Weilnau. Ein Sporttag mit vielen verschiedenen Angeboten für groß und klein bei strahlendem Sommerwetter und abends ein wirklich gutes Open-Air mit der Bockband bildeten einen tollen Rahmen für den Geburtstag eines Sportvereins.

Aber so richtig freuen konnte ich mich nicht und ich war froh als der ganze Trubel vorbei war. Nee, es lag nicht daran, dass ich so viel zu tun gehabt hätte, hatte ich gar nicht. Aber es haben sich an dem Tag eine Menge Leute für den Sportverein engagiert und hatten eine viel Spaß, nur Verantwortung im Vorstand, das will keiner übernehmen. Und nach zwanzig Jahren im Vorstand habe ich aus verschiedenen Gründen sowas von überhaupt gar keine Lust mehr und es ärgert mich einfach, dass niemand bereit ist, mal den Staffelstab zu übernehmen. Nun gut, für die JHV 2019 haben wir unser endgültiges Aus verkündet, inzwischen der komplette Vorstand, denen geht es nämlich allen so, bis dahin findet sich einer (genauer: fünf) oder wir machen den ganzen Verein dicht. Ohne Vorstand nämlich kein Verein, vielleicht wacht dann mal einer auf.
Trotzdem wars ein tolles Fest!
Viel wichtiger war aber im Juni Juniors Abschied von der Grundschule *schnüff*.
Abschied von der geliebten Klassenlehrerin, von den meisten Schulfreunden die sich auf andere Schulen und Klassen verteilten (in der neuen Klasse sind sie nur zu viert), Abschied vom Kinderschulranzen, der ihn durch die vier Jahre getragen hat und Abschied von einer sehr guten, fortschrittlichen und vor allem kleinen Schule.

Juli:
Sommerurlaub, natürlich in Plön und Lübeck. Obwohl wir so oft dort sind und uns immer wieder Bekanntes anschauen, entdecken wir doch immer wieder Neues und Unbekanntes. In diesem Jahr war das in erster Linie der Hund, der entdeckte, dass man in diesem riesigen Wassernapf doch tatsächlich schwimmen kann, aber auch wir entdeckten neues, z.B. Reinfeld mit dem Hünengrab, Herrenteich und dem Gedenkstein mit dem kompletten Text des Abendliedes von Matthias Claudius (man braucht sehr viel Fantasie zum Entziffern…). Außerdem waren wir das erste Mal auf Schleswig-Holsteins höchstem Berg…💪

August:
Im Nachbarschloß die Feier zum Reformationstag. Als gute Nachbaratheisten haben wir natürlich auch teilgenommen, man muss ja im Gegensatz zum Mittelalter keine Inquisition und den ganzen Kram fürchten…:-)

September:
Endlich konnte Juniors Geburtstag nachgefeiert werden, in den Ferien ist ja niemand zuhause. Wäre vermutlich aber billiger gekommen- ein Nachmittag in der Bowlinghalle mit Essen und Trinken für zehn Personen kommt ganz knapp vor der letzten Ausfahrt Richtung Schuldenturm *puh*

War noch was im September? Ööhm…. ach ja. Die unsägliche Bundestagswahl. Gerade jetzt, 3 Monate später betrachtet, frag ich mich, ob irgendein Politiker der sogenannten Altparteien irgendwas begriffen hat? Offensichtlich nicht. Als sei nicht eine rechtsradikale Partei in den Bundestag eingezogen, zicken sich die Parteien an, kriegen keine Regierung zustande, benehmen sich schlimmer als beleidigte Kinder und trösten sich damit, dass ja über 87% der Deutschen total vernünftig sind und nicht hinter der AfD stehen. Das höre ich überhaupt deutlich zu oft, dieses Pfeifen im Wald von wegen 87%. Es sind eben nicht 87% und schon garnicht haben die alle im Chor „WIR sind das Volk“ gesagt. Was ist denn das für eine Traumtänzerei? Leute, die nicht für die AfD gestimmt haben und solche, die erst gar nicht zur Wahl gegangen sind, in einen Topf zu werfen und sich dann mit der hohen Zahl von AfD-Gegnern zu trösten, ist doch wohl mehr als hohl.
Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt, hört auf meine Worte.

Oktober:
Also, wenn das mal kein goldener Oktober war! Ein Oktoberfest im selbstgenähten Dirndl, eine Herbstreise nach Thüringen und Sachsen und das alles bei überwiegend strahlend blauem Himmel- traumhaft!

November:
Die Überfülle der Erlebnisse im goldenen Oktober täuscht dann hoffentlich auch darüber hinweg, dass ich vom November nicht ein einziges Bild habe. Gab es überhaupt einen November in diesem Jahr und wenn ja, wieviele?

Dezember:
Über den müßte man eigentlich auch ein gnädiges Tüchlein des Schweigens ziehen.
Aber nein, er fing ja gut an mit Adventskalender undsoweiter. Viel Arbeit, war aber völlig in Ordnung, führte nur leider dazu alle noch notwendigen Vorweihnachtsarbeiten wie Geschenke einpacken, Karten schreiben, Plätzchen backen, Weihnachtsdeko knipsen, in die Vorweihnachtswoche zu schieben, dann ist ja noch Zeit, haha, na bravo.
Seit dem 18.12 laboriere ich an einer heftigen Grippe rum, Lungenentzündung war auch dabei und nach zwei Wochen richtig krank mit Fieber und allem was man sich nicht wünscht, geht es jetzt erst wieder langsam aufwärts, jaja, ich weiß, ich soll nicht so viel jammern, aber verdammt noch mal, das ganze Jahr war echt gut, worüber soll ich also jammern, wenn nicht über die letzten zwei Wochen?

Das neue Jahr fängt also ruhig an- mit einer Krankschreibung bis 5. Januar, ausschlafen, spazieren gehen und wieder fit werden. So der Plan.
Der Silvesterabend wird ganz Ü-30-mäßig begangen mit Raclette und endet vermutlich um 0:30 spätestens. In diesem Sinne:

Allen einen schönen Jahresausklang und einen guten Start ins neue Jahr!

 

 

Veröffentlicht unter Leben

Schnarch des Monats: Die Wahl der Qual

In zwei Wochen ist mal wieder Bundestagswahl, dürfte ja inzwischen jeder mitgekriegt haben, und ich stelle fest, es ist mir noch nie so schwer gefallen mich zu entscheiden.
Ich schwanke zwischen Entsetzen, Ungläubigkeit und Ach-leckt-mich-doch-alle-mal-am-Arsch hin und her und weiß es wieder nicht: wen soll ich wählen?
Ich weiß nicht, wer sich die Wahlplakate dieses Mal ausgedacht hat, aber diejenigen müssen einen ziemlich üblen Humor haben oder sie leben schlicht nicht im gleichen Deutschland wie ich.

Was für einen hanebüchenen Kalenderspruchmist unsere Kanzlerin von den Megaplakatwänden herab verzapft, sorry, mir wird schlecht. Also wirklich, Leute. „Das große Ganze beginnt mit einem Ohr für die kleinen Dinge“ *säusel*- mal ganz abgesehen von dem gruseligen Spot mit dem armen Baby im Mutterleib (ich konnte den Spot nur ohne Ton sehen, ehrlich, die Untertitel waren schlimm genug! Wer hat eigentlich das Baby gefragt von wegen Recht am eigenen Bild? Wo sind Peta, wenn man sie mal braucht?) ich weiß nicht ob ich kotzen oder mich fremdschämen soll für so einen Krampf.
Vielleicht ist es schon jemandem aufgefallen: wer mir bei Facebook mit zuvielen süßlichen Kalendersinnsprüchen kommt wird rigoros geblockt. Also, liebe Kanzlerin: du bist hiermit offiziell entfreundet, geh weg, such dir eine Datsche in der Uckermark und tapezier meinetwegen dort die Wände mit Sinnsprüchen aus der Hölle, mir egal, aber geh einfach weg. Ksch!

Leider gibt es aber in diesem Wahlkrampf niemanden, der sich wirklich ernsthaft um die Nachfolge im Kanzleramt bemüht. Ach, doch, da war ja jemand, dieser Herr Schmidt von der Hamburg-Mannh von der SPD. SPD, SPD, wer waren die noch gleich…grübel…. achja! Nach einem Blick auf die Wahlplakate weiß ichs wieder: Das ist diese total unangepasste, innovative und unbequeme Partei, die der CDU schon seit Jahren auf den Füßen steht und sie zu all diesen segensreichen Entscheidungen zwingt, die es ohne die gute SPD niemals gäbe. Equal Pay, Bildung für alle, Gerechtigkeit undsoweiter, hach. Martin, Martin, Martin! Ach, Verzeihung, da ist mir wohl ein kleiner Tagtraum dazwischengerutscht, muuharharhar. „Unsere Familienpolitik ist genauso: laut und fordernd.“ Da kann ich noch nicht mal mehr lachen, da bleibts mir echt im Hals stecken. Die SPD? Fordernd? Das ist so abwegig, da fühl ich mich ja fast beleidigt dass die denken ich würde das schlucken. Halten die mich für doof?

Aber gut, wieso nicht, die FDP hält mich ja auch für doof. Die denken offensichtlich, dass ich einen Parfümverkäufermodeldarsteller wähle, weil er so hip und gleichzeitig tiefphilosophisch ist, dass ich darüber vergesse, dass die FDP als traditionell wirtschaftsorientierte Partei einen Dreck für Familien- und Sozialpolitik gibt. „Schulranzen verändern die Welt, nicht Aktenkoffer.“ Joah- aber nur wenns die schweinsledernen Ränzelchen sind, die vor der Privatschule aus dem Porsche Cayenne gezerrt werden, oder was?

Und, ach Gott, die Grünen. Ja, da war mal was. Diese Wachsstiftkratzbilder kennt jeder, oder? Wenn man da mit einem Kratzer an der schwarzen Oberfläche kratzt, erscheinen untendrunter die Farben die da vorher waren. Bei manchen eben grün….

Mit anderen Worten: das gleiche halbherzige Wahlkampfgelaber wie seit vielen Jahren, dieses Jahr vielleicht noch ein bißchen müder, gelangweilter und lustloser als sonst.
Was für ein Glück, dass hier in Deutschland eine gute Bildung vorherrscht, alle zufrieden sind und fest auf demokratischem Boden stehen. Nicht auszudenken, wenn es hier solche Tendenzen wie in den USA gäbe. Marodierend durch die Straßen ziehende Nazigruppen, Politiker, die offen rechtsextreme Positionen vertreten und/oder verharmlosen und genügend Wähler die das ganze auch noch demokratisch legitimieren.

Puh, da kann man wirklich froh sein, dass wir so starke Parteien und Politiker haben, die sich einem Rechtsruck in Deutschland entschieden und kompromisslos entgegenstellen und die gleichzeitig seit Jahren mit einer klugen Familien- und Bildungspolitik dafür sorgen, dass es allen Bevölkerungsschichten gut genug geht, dass niemand einen Sündenbock für sein eigenes Elend suchen muss….

 

Briefe aus der Heimat- einmal Vergangenheit und zurück

Seit ich mich erinnern kann, stand im Schlafzimmer meiner Großeltern, ganz oben auf dem Regal hinter dem Vorhang, ein weinrotes, scheinbar selbstgemachtes Kästchen mit einem nicht ganz genau passenden Deckel. In dem Kästchen befand sich ein Packen vergilbter Briefe, teils in unleserlicher Schrift. Alle wussten: das sind die Briefe die Opa aus der Gefangenschaft an Oma geschrieben hatte, als sie noch beide sehr jung gewesen waren, in einer Zeit, die zumindest mir nur in Sepia bekannt ist.

Ich durfte als Kind zwar stets in Omas Nachttischschubladen wühlen und ihren sehr spärlich vorhandenen Schmuck (Rosenkränze gab es mehr) anschauen und bewundern, ihre Schals und Tücher hervorzerren, an ihnen riechen und sie mir umbinden, die Kistchen mit Bildern von fremden Menschen durchsuchen und sogar kopfüber in den Kleiderschrank tauchen auf der (vergeblichen) Suche nach Geheimnissen- nur an die mysteriösen Briefe in dem Kästchen durfte ich nicht.
Immer hiess es: das könnt ihr alles lesen, wenn wir mal nicht mehr sind.

An einem Weihnachten vor einigen Jahren, Opa war schon ein paar Jahre tot, fragte eins der Enkelkinder die Oma mehr im Spaß, ob wir denn nicht endlich mal die Briefe lesen dürften? Die Oma winkte erst ab, sagte etwas ähnliches wie: „Jo, Kenner- ess dot dann su interessant?“ verschwand dann kurz und stellte plötzlich das Kästchen mitten auf den Sofatisch. Nach kurzem Schock (wie jetzt?) und Zögern öffneten wir das Kästchen und ein, zwei oder drei Briefe wurden herausgenommen und stockend vorgelesen. Ich kann mich nicht mehr erinnern was vorgelesen wurde (es war auch unerheblich, denn die bloße Tatsache, DASS wir darin lesen durften!), aber allen, groß und klein, standen die Tränen in den Augen. Nach kurzer Zeit tauchte Oma wieder auf, meinte: “Jetz ess et gut, den Rest kunnt ihr lese wenn ich nimmer sinn“ und brachte das Kästchen wieder weg. Danach kam es nicht wieder zum Vorschein.

2012 starb meine Oma, aber das Tabu auf dem Kästchen wirkte noch lange nach. Zwar nahmen wir in der Zeit nach ihrem Tod bei dem ein oder anderen Familientreffen auch mal das Kästchen heraus und lasen den ein oder anderen Brief, aber stets mit größter Vorsicht, und es war allen klar, damit muss was passieren, sonst sind die fast achtzig Jahre alten Briefe unwiederbringlich dahin. Trotzdem dauerte es bis letztes Jahr, bis schließlich ich mir einen Ruck gab und mich traute das Kästchen mit nach Hause zu nehmen, in der Absicht alle Briefe einzuscannen und digital für die Familie zur Verfügung zu stellen. Auch hier stand es noch einige Monate mahnend herum bis ich es schaffte mich dem Inhalt zu stellen.

Ich entschuldigte mich innerlich bei Oma und Opa für das Eindringen in ihre sorgsam gehütete Privatsphäre und begann nach Datum zu sortieren und zu lesen.

Insgesamt befinden sich ungefähr hundertzwanzig Briefe aus den Jahren zwischen 1940 und 1946 in dem Kästchen. Dazwischen auch zwei von Oma an Opa und das ein oder andere nicht zuzuordnende Bruchstück, aber der überwiegende Teil sind Briefe, die Opa aus dem Krieg und später aus der Gefangenschaft an seine „herzallerliebste Mia“ geschrieben hatte.

Allein diese Formulierung macht mir eine Gänsehaut. Man muss dazu wissen: Ich empfand meinen Großvater immer als einen distanzierten, gefühlsarmen Menschen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein liebevolles Wort von ihm gehört zu haben, umarmt werden wollte er auch nicht und im direkten Kontakt war er eher einsilbig. Aus erwachsener Sicht betrachtet erinnere ich, dass er auch humorvoll, großzügig, vielseitig interessiert und oft gut gelaunt gewesen sein muss, aber als Kind schien er mir eher abweisend, ich hatte immer ein wenig Angst vor ihm und traute mich nicht allzuviel in seiner Gegenwart.
Alleine also die von ihm handgeschriebenen Zeilen zu lesen, die so liebevoll und sehnsüchtig formuliert sind, wie ich es ihm niemals zugetraut hätte, war nicht ohne Weinen möglich. Inzwischen habe ich alle Briefe mehrfach gelesen und kenne die meisten davon fast auswendig. Trotzdem muss ich beim Lesen immer noch heulen.

Zeitgleich begann mein jüngster Onkel anhand von Büchern, Bildern und Notizen aus dem Nachlass der Großeltern die Geschichte seines Vaters zu recherchieren. Angefangen von den sehr spärlichen Informationen über seine Kinder- und Schulzeit über die Berufswahl, die Musterung und die sich anschließende Zeit beim „Barras“, die Zeit an der Front in Afrika bis hin zur Gefangennahme und die Jahre in kanadischer Kriegsgefangenschaft trug er alles zusammen, was zu finden war.

Als wir schließlich entdeckten, dass wir im Prinzip beide die gleiche „Mission“ hatten- die Briefe und das Leben des „Bappe“ nicht vergessen zu lassen- entschieden wir uns, daraus ein gemeinsames Buch zu machen.

Es hat lange gedauert und die meiste freie Zeit und Hirnkapazität im letzten Jahr gebunden, aber inzwischen ist das Buch fertig. Die Beschäftigung mit den Briefen hat mir zwei Menschen nähergebracht, die enorm viel Einfluss auf meine Entwicklung hatten, die ich manches Mal laut verflucht, viel zu oft nicht verstanden, aber dennoch innig geliebt habe. Ich fühle mich auch der Person näher, der ich morgens im Halbschlaf die Zähne putze: wer bin ich, und warum bin ich, wie ich bin? Was hat mich geprägt?
Ich weiß jetzt zum Beispiel, warum geradezu zwangsweise jeder aus der Familie sofort die Landkarte oder Google Maps zückt, wenn sich jemand anderes aus Gründen irgendwo auf der Welt aufhält. Wo ist das, welche Stadt ist in der Nähe, wie kommt man am besten dorthin, wie sieht die Landschaft dort aus etc. Wir können ein Familientreffen durchaus mit einem stundenlangen Kartenstudium beginnen und debattieren, welches denn nun der günstigste Anfahrtsweg und wo die schönste Sehenswürdigkeit auf dem Weg gewesen sei. (Kein Witz: wir haben letzte Woche La Palma für die nächsten Osterferien gebucht. Ich war noch nie da, aber abends konnte ich die Landkarte von La Palma und die zehn wichtigsten anzusteuernden Punkte auswendig. Auswendig!)

Das scheint nicht verwunderlich, wenn ich mir vorstelle, wie die kaum zwanzigjährige Mia ihre freie Zeit vermutlich mit dem Studieren von Landkarten verbrachte, um ihrem Bernhard wenigstens mit dem Finger auf der Landkarte nahe sein zu können. Diese Vermutung liegt nahe, denn bis ins hohe Alter hatte sie immer eine Karte oder einen riesengroßen Atlas griffbereit um nachzuverfolgen, wo sich wer gerade aufhielt.

In Zeiten von Email, WhatsApp und Videochat können wir nicht mal mehr ansatzweise nachvollziehen, wie es sein muss, monatelang Briefe ins Unbekannte zu schreiben, ohne zu wissen, ob der Adressat noch lebt, oder die Adressatin sich vielleicht einer neuen Liebe zugewandt hat?
Wieviel Vertrauen da zwischen zwei Menschen existieren muss, dass man das aushalten kann. Das ist vielleicht meine schönste und wichtigste Erkenntnis aus der Beschäftigung mit den Briefen: Das unsere ganze Familie auf einem großen Vertrauen aufgebaut wurde.

Mein Lieblingsspruch des Tages

ist: Aus Scheiße Gold machen.
In den letzten Tagen gab es in meiner Facebook-Timeline bisweilen gehässige Kommentare über eine Youtuberin namens Bibis Beautyhütte oder so, die wohl ein gar schröckliches Lied aufgenommen hat. Da mich Youtuber (und innen) per se erstmal gar nicht interessieren (ich bin zu alt für jeden Scheiß) und ich schon gar nicht irgendwelche seltsame Musik hören möchte, die einzig zu dem Zweck erfunden und aufgenommen wird, Minderjährigen, die noch nicht den letzten Cent für irgendwelchen Beautyscheißdreck ausgegeben haben, denselben aus der löchrigen Tasche zu ziehen, UND weil es wirklich besseres mit meiner Lebenszeit anzustellen gibt, als denselben Youtuberinnen einen Klick zu schenken, habe ich das Liedchen ignoriert und mir gar nicht erst angehört.

Bis ich das Video von den Männerstimmen der Lübecker Knabenkantorei zugeschickt bekam.
(Danach wollte ich doch wenigstens einmal das Original anhören, zum vergleichen, nichwohr. Meine Ohren verweigerten mir nach den ersten drei mit piepsiggequälter Stimme vorgetragenen Wörtern den Dienst- die Ohrläppchen verknoteten sich, schlüpften in die Gehörgänge und drohten dumpf, mich zu erwürgen wenn ich das nicht so.fort.aus.mache!
Boah, ich bin jetzt noch schockiert von dem Gewimmer. Der Sängerin, nicht der Ohren.)

Seitdem wiederhole ich immer und immer wieder völlig verzückt: Man KANN aus Scheiße Gold machen, und zwar richtig gutes.
Wieso bin ich nicht auf die Idee gekommen? Ach so, weil ich kein gut ausgebildeter Männerchor bin. Ich kann nicht mal singen.
Bühne frei:

Übrigens: einer ist mit mir verwandt *stolz*. Es gibt also doch ordentliches Genmaterial in der Familie…

Nicht-Fasching und Zufälle

Man kann so ein Faschingswochende durchaus also auch ohne maskierte Fröhlichkeit verbringen. Man braucht sich in der Woche vorher nur so einen derart heftigen grippalen Infekt zu holen, dass einem das ganz Bohei komplett wurscht ist und man sich freut, dass man überhaupt mal wieder ein paar Schritte laufen kann ohne sich gleich wieder setzen zu müssen.

Erstaunlicherweise war das Ausflugsziel für einen sonnigundfastwarmen Sonntagnachmittag wie heute wie leergefegt- gut, die ganzen Frankfurter Wochenendausflügler besetzten wahrscheinlich heute ausnahmsweise mal sämtliche Faschingszüge im Rhein-Main-Gebiet statt wie sonst üblich alle schönen Flecken im Taunus. Als Taunusbewohner nimmt man sich ja sowieso am besten an einem kalten und regnerischen Tag Urlaub, wenn man mal was von seiner Umgebung haben will ohne auf Schritt und Tritt über unerzogene Frankfurter zu stolpern *schnaub*, aber das nur nebenbei.

Irgendwo in diesem Brettergewirr schaffen sich grad Mann und Kind auf der Suche nach guter Aussicht nach oben (ersterer mit Höhenangst, chapeau! Aber er übt schon mal für die Highline 179, die er dieses Jahr bezwingen ausprobieren will (ich schwöre, ich kauere mich wimmernd auf den ersten Metern zusammen *bibber* und er ziehts durch…?), aber ich war froh dass ich die 500 Meter vom Parkplatz bis dorthin überhaupt ohne Kollaps geschafft habe.

Da siehste guck- fehlt eindeutig der Grünfilter, wa? Meine Güte, da krieg ich wirklich große Sehnsucht nach dem Frühling…

Erinnert sich noch jemand an das Bild? Hab ich letztes Jahr in der Faschingszeit gemacht und dann hier und auf Facebook eingestellt und vergessen.
Vor ein paar Tagen liket ein Facebookfreund die Seite einer Whiskydestille (die ich vorher nicht kannte) ganz in der Nähe, bzw einen Post derselben und da grinst mich doch mein eigener Faschingskreppel an!
Definitv mein Kreppel, mein Gebißabdruck, unverkennbar, versehen mit einem lustigen Spruch. Cool, dachte ich. Woher zum Teufel haben die den, dachte ich.
Eine erste Recherche ergab, dass das Bild aus einem Grafiktool stammen soll, welches genau, weiß ich noch nicht, ich hoffe, dass ich diese Info noch schnellstmöglich kriege.
Jedenfalls schon mal interessant, welche Wege die Bilder so nehmen….
Würde ich als Fotograf meine Brötchen verdienen, sähe ich das möglicherweise nicht so entspannt.
Und zeitgleich fragt mich per Mail eine Lehrerin einer weiterführenden Schule an, ob sie Teile aus meinem Post über die Elmex-Zahnpastatube für ein Arbeitsblatt für ihre Klasse verwenden darf- Hallo? Wer hat denn da im Universum sein Fernrohr auf mich gerichtet? Psch- weg. Geh weg da, weitergehn, hier gibts nix Interessantes zu sehen! Ts.

Natürlich haben wir gleich mal in der Whiskydestille ein Probepäckchen bestellt um die Qualität zu überprüfen…
Und die Lehrerin darf selbstverständlich Material aus meinem Post verwenden. Je nachdem, wie alt die Kids sind, kann sie ja die Flüche drin lassen…. *muuuharharhar*

In diesem Sinne: Helau! Fresse.

Made in China

Es ist nicht zu fassen, aber heute muss ich mal ein gutes Wort einlegen für „Made in China“. Ich meine, demnächst bekommen wir eh nix mehr aus den USA geliefert, da ja dieser durchgeknallte Familienunternehmer mit Strafzöllen wedelt und die Europäer dann zurück strafverzollen müssen und so weiter, elendes Hickhack, man kennt das. Wer weiß ob wir uns in Zukunft überhaupt noch was Amerikanisches leisten können (hoffentlich wird als erstes dieses fade Fakeessen aus den Plastikkneipen unbezahlbar *höhö* und danach diese moralinsauren Amifilme, örks), da muss man sich ja jetzt schon mal nach neuen Geschäftspartnern umgucken, ich hab also testweise schon mal angefangen und was in China bestellt.
Also, eigentlich hab ichs in Hamburg bestellt, was das jetzt mit China genau zu tun hat hat sich mir nicht erschlossen, aber egal. Innendrin stand jedenfalls Made in China und ehrlicherweise war ich mir der Verwerflichkeit meines Tuns wohl bewusst, schliesslich versuche ich sonst möglichst regionale Produkte wegen Nachhaltigkeit, Bio, etc zu kaufen, aber das hier war halt familienfriedenstechnisch nicht anders zu handeln, außerdem hatte ich keine Lust, das Teil selber zu nähen.
Also bestellte ich für Junior einen Schulumhang der Hogwarts- Schule für Zauberei und Hexerei, und zwar um genau zu sein, einen von Ravenclaw.
Als Faschingskostüm getarnt, aber eigentlich braucht er es für seine zweite Identität als Nachwuchszauberer, die er erfolglos vor uns zu verheimlichen sucht. Ein Zauberkessel und der zu Weihnachten geschonken gekrochene Zauberstab (Original Ronald Weasleys Zauberstab, Danke Elbenwald!) sollten das Outfit vervollständigen.
Blöderweise kam ein Zauberumhang aus dem Haus Slytherin bei uns an. SLYTHERIN!
Eingeweihte wissen um den schockierenden Hintergrund dieses Frevels.
Junior schwankte zwischen Ärgern/Zurückschicken und Hinnehmen/Auftragen und da er leider mein rebellisches Temperament nicht geerbt hat, dafür meine Ungeduld, entschied er sich das fehlgeleitete Ding zu behalten. (Er redete sich ein, dass ja unmöglich JEDER aus dem Hause Slytherin böse sein könne, also verkörpere er nun halt den gutartigen Teil der Slytherin-Schüler. Ha! kann ich da nur sagen. Ha! Du Irrgläubiger!)
Diese Entscheidung konnte ich als liebendes Mutterherz natürlich unmöglich so hinnehmen- sein gesamtes Taschengeld hatte er in diesen Herzenswunsch Zauberumhang gesteckt. Und dann SLYTHERIN! Also nee.
Da die Vermutung, es könne an Sprachschwierigkeiten zwischen mir und dem chinesischen Versender gelegen haben (vielleicht kann er sein eigenes Shopsystem nicht lesen? Und mein Kantonesisch ist, nun ja, etwas eingerostet.) nicht von der Hand zu weisen war, beschloss ich, das Ganze nochmal von vorn anzufangen. Mit einem anderen Versender.
Also nahm ich MEIN Taschengeld und einen auf den ersten Blick unverdächtigen Karnevalsshop Tralala aus diesmal, glaube ich, Dutenhofen. Düsseldorf. Oder doch Diemelshausen? Egal und bestellte erneut. Einen Hogwarts-Schulumhang in Kinder M, Ausführung Ravenclaw bitte, Danke.
Was dann (natürlich aus chinesischer Produktion in irgendeiner ZhinghangpauEiwegStadt und der Karnevalsshop war erstaunlicherweis auch plötzlich fest in chinesischer Hand), außer dem bestellten Umhang in der richtigen Ausführung und richtigen Größe kam (ohne genau in der Beschreibung gestanden zu haben) führte dazu, dass ich um ein Haar mein Kind zur Adoption freigegeben hätte, nur damit ich das Zeug selbst behalten kann. Um ein Haar! Zum Glück passt mir der Umhang nicht.

Außer einer passenden Ravenclaw- Schulkrawatte war da noch ein Brief mit echt (aussehend)em Siegel an:
Mr Harry Potter
The Cupboard under the Stairs
4, Privet Drive
Little Whinging
Surrey

Darin befand sich die Bestätigung der Aufnahme an der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei zum nächsten Schuljahr, die Liste der mitzubringenden Dinge UND das Bahnticket für den Hogwartsexpress auf Gleis 9dreiviertel…

Aaaaaahhhh, wie geil ist das denn? Ein Traum ist wahr geworden! Ich! Ich! darf nach Hogwarts und Zaubern lernen, endlich,  juhuuuuu!!!

*hust* An dieser Stelle meines innerlichen Totalausrasters nahm mich Junior begeistert und mit feuchten Augen in den Arm und bedankte sich für diese tolle Überraschung, JETZT wäre er endlich richtig und komplett ausgestattet für die Zauberschule und ich wäre überhaupt die beste Mama der Welt.
Und *wusch*, den im Kinderzimmer verschwindenden Kostbarkeiten hinterhertrauernd verdünnisierte sich mein Traum von Hogwarts, Hexenkarriere und dem Orden des großen Merlin wie eine Handvoll zischender Zauberdrops.
„Beste Mama der Welt“ ist ja auch ganz nett.
Finite incantatem.
Das Kind ist jedenfalls glücklich und übt fleißig…

Willkommen im digitalen Zeitalter

Blutspende beim DRK. Gespräch am Aufnahmetisch. Vor etwas mehr als zwei Jahren.
„Wäre es in Ordnung, wenn wir Ihnen unsere Blutspendeeinladungen in Zukunft per E-Mail zukommen lassen? Sie wissen ja, die Papierverschwendung, für die Umwelt wäre das doch gut und es müssen nicht mehr extra Bäume für uns umgeholzt werden, haha, dann bitte hier ankreuzen und Mailadresse eintragen“
Super Idee!  Schliesslich liegen die kommenden Termine immer schon bei der Blutspende aus, ich brauche gar keine Einladung. Also angekreuzt: in Zukunft ausschliesslich per Mail einladen, keine Bäume mehr für mich umholzen, bittedanke.

Zur nächsten Blutspende: Einladung per Post, drei Tage später eine Erinnerung, weil: sie mit ihrer seltenen Blutgruppe, jede Spende rettet Leben, besonders wichtig, jaja, ist ja schon gut.
Zusätzlich ein Brief: „Wären sie damit einverstanden, in Zukunft … Einladungen … Blutspende … Mail …, wissen ja, Papier, Bäume tot, Umwelt undsoweiter blabla. Bitte hier ausfüllen, unterschreiben und an uns zurücksenden“
Hmpf. Hatte ich doch schonmal. Na gut, ausgefüllt, unterschrieben, abgeschickt.

Zwischendurch den Blutspendeort gewechselt. Keine Zeit gehabt zum Blutspendetermin hier zu gehen, also eine Woche später zur Blutspende drei Käffer weiter. Man will ja ein guter Mensch sein, Selbstlosigkeit, Leben retten, Karmapunkte sammeln und der ganze Quatsch, außerdem brauch ich die Süßigkeitentüte. *Mööpmööpmööp!* Schwerer Ausnahmefehler.
Zum nächsten Blutspendeturnus kommen zwei Einladungen. Eine für diesen, eine Woche später für jenen Ort. Per Postauto. Zusätzlich noch vor jedem Termin eine zwei Extraeinladungen: sie mit ihrer seltenen Blutgruppe, denken sie dran, unbedingt spenden, Leben retten, Karmapunkte, Süßigkeiten, der ganze Quatsch halt. Auch per Postauto, versteht sich.

Blutspende beim DRK. Gespräch am Aufnahmetisch. Vor anderthalb Jahren.
„Entschuldigen Sie, ich hatte bereits vor längerem in ihrem Fragebogen angekreuzt dass ich meine Einladungen bitte nur noch per Mail bekommen möchte- und dasselbe später übrigens nochmal per Briefpost, nun kamen schon wieder Einladungen per Post, wissen sie vielleicht….äh, wohl eher nein.“ Das Gegenüber guckt irritiert, stammelt etwas, nein, schon okay, vergesst es. Ich probiers per Internet.
Unter www.blutspendedienst.com gibt es einen Button „Einladung per Mail oder Post?“ Man ahnt was kommt: Erlaubnis erteilt, Mailadresse angegeben, alles ausgefüllt (wegen Selbstlosigkeit, Leben retten, Karma und dem ganzen Rotz. Süßigkeiten!).
Drei Monate später, zum nächsten Blutspendeturnus: vier Einladungen. Per Postauto. Auf Papier.
Nochmal Internet, Erlaubnis erteilt, andere Mailadresse angegeben, alles ausgefüllt (wegen Selbstlosigkeit, Leben retten, Karma und dem ganzen Rotz. *grrna*).

2015 vergeht mit je vier mal zwei Einladungen für zwei Blutspendestandorte, macht sechzehn Briefe. Auf der Gegenseite mehrere lahme Versuche, doch noch in den Mailverteiler zu kommen.
2016 vergeht mit je vier mal zwei Einladungen für zwei Blutspendestandorte, macht wieder sechzehn Briefe die vom Briefkasten auf direktem Weg in die Altpapiertonne wandern. Auf der Gegenseite leises Weinen bei dem Gedanken an so viele tote Bäume. Resignation macht sich breit.
Der Treppenwitz dabei: In jeder! verdammten! Einladung! dieses Kästchen:

Buuhuhuhuuu…*heulendzusammenbrech*

Mal im Ernst: ich war jetzt schon länger nicht mehr bei der Blutspende, weil die Termine in den letzten Monaten echt blöd lagen. Entweder war ich nicht da oder krank. Nun könnte ich ja leicht noch einen dritten Ort ansteuern der vielleicht einen besseren Termin anbietet, wegen Selbstlosigkeit, Leben retten, Karma und Süßigkeiten- wißt ihr Bescheid.
Aber bin ich wahnsinnig? Vierundzwanzig Briefe pro Jahr! Meine Altpapiertonne krieg ich auch anders voll… (Mit Werbeblättchen zum Beispiel)