W wie Wertschätzung

Okay, ich machs. Seit Monaten laufe ich vor diesem Buchstaben davon, weil „Wertschätzung“ irgendwie so ein total pädagogisches Wort ist und weil das in den meisten Fällen zum sofortigen Abschalten des nichtpädagogischen Gegenübers führt wenn man das Wort ins Gespräch einflicht „es ist total wichtig, dass sie ihren Sohn/ihre Tochter/ ihr Karnickel/sonstwen wertschätzen weil blabla“ Gegenüber: „schnurchlkrrrr*
Aaargglll! Keiner hört mir zu!
Ich finde tatsächlich, dass kein anderes Wort der Welt so deutlich dafür sorgt, dich als Pädagogin Sozialtante zu disqualifizieren wie das Wort „Wertschätzung“. Das ist so wie das Wort „Kick-off-Veranstaltung“ für Eventmanager (oder „Abgasprotokoll“ für Autohersteller, aber das ist ein anderes Thema).
Und gleichzeitig habe ich in den letzten Jahren das Gefühl entwickelt, dass kein anderes Wort deutlicher darstellt, was das allerwichtigste im Umgang mit der Brut ist: Wertschätzung. Und mir fällt ums Verplatzen kein besseres, nicht pädagogisch-stigmatisiertes Wort dafür ein. (Wohlwollen vielleicht? Nee.)
Ich meine, um das mal klarzustellen: im Szenecafe in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain zwischen all den Cappucinomuttis (keine sehr wertschätzende Bezeichnung *ups*) ist die pädagogisierte Sprache wahrscheinlich eher ein Türöffnercode und man sieht sich gleich in ein Gespräch über Schulen und Kitas mit bestmöglichen Bildungs- und Ernährungskonzepten verwickelt. Aber, Leute: die allerwenigsten Deutschen wohnen in hippen Szenestadtteilen mit hoher Einkommenstruktur und beschäftigen sich tagaustagein mit der bestmöglichen Erziehungs- und Ernährungsstrategie um aus longboardenden Szenekindern vegane Kiez-Hipster zu machen. Die Mehrheit, also zumindest die absolute Mehrheit der Menschen um mich herum (meine sogenannte Bubble) leben völlig basisnah in Dörfern und kleineren Städten so vor sich hin, glotzen RTL und kaufen bei Aldi und Rewe ein, geben sich mit dem wohnortnahen Kindergarten zufrieden, scheißegal welches frühkindliche Bildungskonzept dort vorherrscht, keiner käme auf die Idee, die Kids ins dreissig Kilometer entfernte Elitegymnasium zu fahren wo doch das hiesige Schulzentrum direkt vor der Tür ist. Äh- also, die meisten nicht…
Der Nachteil: Man hört noch des öfteren „Ei, die ganze Soziaalpädagooche mit ihrm Firlefanz. Muss des sei, des ganze pädagoochische Geschwafel? Könne die die Kinner net erziehe wie früher, des hat uns doch aach net geschadt. Kinner brauche Grenze un wenn ses übertreiwe, dann muss ma dene halt emal zeische wo der Hammer hängt, gelle.“
Muaahhh….
Dabei ist es doch so einfach. Wir Erwachsene wollen doch bitteschön in jeder Situation angemessen freundlich und höflich behandelt werden, auch und gerade durch unsere Familie/Partner/Lebensabschnittsgefährten/whatever.
Wir gehen, und da schliesse ich mich zu meiner großen Scham ausdrücklich mit ein, viel zu häufig automatisch und ohne nachzudenken davon aus, dass der Nachwuchs schon einen großen Blödsinn produzieren wird, einfach weil er es nicht kann/zu klein/zu ungeschickt/zu irgendwas ist. Und so krähen wir ohne größere Beteiligung des Denkkörpers in viel zu vielen Situationen unbedacht ganz schön beleidigende Sachen raus für die lieben Kleinen. „Kannst du nicht aufpassen?“, „Dein Zimmer sieht aus wie ein Schweinestall“, „Jetzt lass doch nicht immer alles fallen!“ undsoweiter sind dabei noch die harmloseren Varianten. Puh, kein Wunder, dass es ständig Krach gibt zwischen Eltern und Kinder, wenn die Kinder häufig so beleidigt werden.
Dabei gibt es eigentlich einen ganz einfachen Trick, wie man feststellt, ob ein Satz gerade sehr verletzend und abwertend für das Kind ist oder nicht.
Stell dir einfach vor, DU kriegst das gerade an den Kopf geknallt. Du lebst da zum Beispiel so locker vor dich hin und findest eigentlich alles total knorke und da ist dieser total nette Nachbar, Professor der Quantenphysik, mit dem du dich eigentlich supergut verstehst und plötzlich erzählt er dir, dass die Ergebnisse bestimmter quantenphysikalischer Experimente nicht absolut gesetzmäßig, sondern nur nach einer gewissen Wahrscheinlichkeit und einem ursachenlosen Zufall eintreten und du so Hä? und er so *brüll* „wie oft soll ich dir das denn noch erklären, es ist doch nicht zu fassen wie dämlich man sich stellen kann, jetzt gib dir aber mal ein bißchen Mühe *schnaub*“
Ich schätze mal, bei den meisten von uns hätte der Quantentyp nicht viel zu lachen, wenn er es wagen würde, SO mit uns zu sprechen. Aber für die meisten Kinder ist es vollkommen normal, so herablassend behandelt zu werden, sei es von den Eltern oder in der Schule. „Schantalle! Geh wech von die Regale, du Arsch!“, „Ach, da ist ja wieder das Fräulein HuchdakommteinBall“ oder „Na, haben wir mal wieder keine einzige Matheaufgabe richtig?“
Für die quantentheoretisch bewanderten Klugscheißer unter uns, die natürlich nicht Hä? gesagt hätten: es ist vollkommen wurscht ob es die Quantenphysik ist, oder Mathematik, Architektur, einfache Empathie oder sonstwas. Der Punkt ist: auch wenn wir etwas nicht auf Anhieb (oder auch nicht nach mehrjährigem Unterricht) verstehen, so haben wir dennoch das Recht darauf, jederzeit freundlich, höflich (im Idealfall: liebevoll) und vor allem respektvoll behandelt zu werden. Da gilt das doch wohl erst recht für die Kinder, die ja schliesslich nochnichtmal was dafür können, dass sie alles mögliche erst lernen müssen.

Nicht, das irgendeiner denkt, das gelänge mir stets.
Meine Sozialisation/mangelnde Impulskontrolle/innerer Schweinehund überholt mich leider des öfteren von rechts und ich starre in die häßliche Fratze der Elternschaft: schimpf schimpf mecker wegen irgendeinem Mist. Als er noch relativ klein war, hat mein Sohn mir mal ins schimpfende Gesicht (weil er sich wieder nicht „endlich mal alleine“ umziehen wollte im Bad) geschaut und gefragt „Wieso hast du so böse Augen, Mama?“
Gulp.
Herzlichen Glückwunsch, hier ist ihre „Rabenmutter-des-Jahres-Medaille“.

Nun ja, ich denke, letzten Endes kommt das in der ein oder anderen Ausprägung in jeder Familie so vor. Man ist nicht immer super konzentriert und vor allem reflektiert, was das eigene Verhalten angeht, häufig hat man als Eltern viel zu hohe Erwartungen an das Kind (und sich selbst!) und was wohl das schwierigste ist: man trägt ja auch noch sein eigenes Päckchen mit sich rum, ist müde, jobgefrustet oder sonstwas. In den meisten Fällen verhält man sich wohl ohnehin einfach ohne vorher drüber nachzudenken- besonders wenn man aus irgendeinem Grund wütend ist. Aber es kann nicht schaden, sich zumindest mal in einer ruhigen Minute zu überlegen, ob man nicht doch lieber so in den Wald reinrufen möchte, wie es rausschallen soll. Es wird die nächste elterliche Empörungsexplosion und den nächsten Krach sicher nicht verhindern, aber vielleicht vermindern. Und vielleicht entwickelt man einen anderen Blick aufs Kind. Man muss ihn ja nicht wertschätzend nennen.

(Hier kann ich nur immer wieder den wirklich großartigen Blog „Das gewünschteste Wunschkind“ empfehlen und zum Thema passend meinen Lieblingsartikel „Wie entstehen „Arschlochkinder“ und „Tyrannen“ wirklich?“ (Selbstverständlich hat mich der Titel wegen der derben Ausdrucksweise angesprochen, was denn sonst? Hehe.) Die erklären euch alles supergut wofür ich häufig keine Worte finde. Wozu auch- es ist ja schon hervorragend erklärt.?)

Veröffentlicht unter ABC

Pokemon-Wahn

Ich hatte irgendwann mal berichtet, dass das Furchtbarste, was in einer Flimmerkiste laufen kann, verschiedene Kinderserien sind, zum Beispiel Glücksbärchis (aarggl, akute Hirnerweichungsgefahr) oder Zoes Zauberschrank (evtl noch vorhandene Hirnzellen lösen sich in rosarote, nach Erdbeeraroma riechende Blasen auf), aber der Knaller ist wirklich die Pokemonserie. Egal ob alt oder neu, das Geschrei, süßliche Gefiepe und vor allem die hanebüchene Story (was für Drogen nehmen die Schreiber?) ist durchaus dazu geeignet, unbeteiligte Zuhörer (=Eltern) freiwillig in die Zwangsjacke zu treiben. Ehrlich.
Wir halten pro Abend nur eine Folge von dem Mist aus, sonst ist der Hausfrieden ernstlich in Gefahr und die Glotze wird eingestampft. Junior ist dagegen begeistert von dem japanischen Mangamist (wenn ich unverhofft hinschaue, denke ich immer, da läuft Heidi) und kennt alle 150 Pokemonarten und ihre verschiedenen Entwicklungsstufen auswendig.
Wir schauten immer etwas gequält, wenn er uns an seinem Wissen teilhaben ließ. „Und aus Hornliu mit den Attacken Giftstachel, Fadenschuss und Käferbiss wird Kokuna, das kann auch Käferbiss und Verzweifler und wenn man ganz viele Hornliubonbons hat, kann man das zu Bibor entwickeln, das ist voll stark und das kann Aero-Ass und… dozier… dozier… dozier… gääähnschnirchl. Puh. Ist das anstrengend, mit der Jugend mitzuhalten und Interesse zu heucheln…
Und dann kam Pokemon Go.
Ein Wunderding. Das spazierfaule Kind möchte sich plötzlich bewegen, vorausgesetzt es hat mein Handy in der Hand (ein eigenes fehlt noch). Ein abendliches „Wollen wir noch mal kurz rausgehen?“ wird mit sofortigem Glotzeausschalten quittiert, so schnell kann man die Schuhe nicht anziehen, wie Junior an Mutter und Handy zerrt, es ist ein Traum.

Abgesehen davon haben wir im Wohnzimmer einen Pokestop, und so sitzen wir häufig einträchtig nebeneinander, einer spendiert ein Lockmodul und wir fangen dreissig Minuten lang zusammen Pokemon (was hier auf dem Land eine manchmal etwas mühselige Angelegenheit ist. Immer dieselben Viecher. Ich beantrage mehr Pokemon-Auswahl!). Was für eine Familienidylle. Ich bin übrigens ganz kurz vor Level 18 (nur noch drei Evoli, fünf Rattfratze oder zwei Piepi, ein Glücksei und dann entwickeln- yes!) und erwäge ernsthaft, in die Stadt umzuziehen. Das Wort Großstadt alleine löst bei mir üblicherweise schon Fluchttendenzen aus, aber die Pokemon ändern alles. Mein Mann braucht sich in der Mittagspause nur an den Brunnen vor dem Rathaus mit den drei Pokestops zu setzen, irgendwer setzt immer Lockmodule, und fängt in einer halben Stunde fünfzehn von den Viechern. Jeden Arbeitstag! Unfair.
Ich dagegen dödele immer so im Hintertaunus rum und habe keine Zeit Pokemon suchen zu gehen und die Familien haben unverständlicherweise keine Pokestops vor der Haustür und wissen nicht mal wo es Pokemon gibt. Unfassbar. Wenn ich Glück habe, stolpere ich mal unterwegs über ein langweiliges Taubsi oder Nidoran. Pro Tag! Ich sag ja: unfair.
Zudem ist die GPS-Ortung in der App sowas von dämlich. Ich mache das Spiel vor Fahrtantritt im Auto an, gucke, obs was gibt, mache wieder aus, fahre zum nächsten Termin, mache wieder an, gucke obs was gibt, da quäkt mich dieses Ding an „Du bist zu schnell unterwegs. Du sollst Pokemon Go nicht beim Autofahren spielen. Oder bist du Beifahrer?“. Ja, verdammte Axt, ich mache das Teil extra vor jeder Fahrt aus, was denn noch? Fehlt noch, dass die App selbständig die Polizei ruft und mich wegen Spielens am Steuer anzeigt.
Hach, war das toll in Hamburg beim Triathlon. So viele Pokemon unterwegs! Welche mit Leibchen und Rückennummern und welche ohne.
Sogar im Cafe an der Alster konnte ich eins erlegen mit der Klatsche:
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Unnötig zu erwähnen, dass dies das einzige Bild aus dem Urlaub von mir ist. Wenn mein Sohn mir gegenübersitzt bei der Jagd nach Pokemon und aus Versehen ein Foto macht.
Toll.

 

Endlich wieder ein Rums!

Hallo, ich bins, ich bin noch da, ich nähe noch, und ab und zu schaffe ich es auch, was zu verbloggen *hüstel*
Es ist mal wieder Donnerstag, es ist wieder diese Bar… ach, nee, das war ja was anderes.
Nun gut, ich bin dem Hosenwahn anheimgefallen, könnte man sagen. Letztes Jahr schon habe ich mir den Hosenschnitt „Sanna“ von Näähglück gekauft, die erste Hose prompt versemmelt und den Schnitt dann beleidigt in die Ecke gepfeffert. Nun sind ja dieses Jahr solche bunten Webware-Flatterhosen modern, ich habe mir auch eine von Blutsgeschwister gekauft
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in meinem Lieblingsladen „Augenweide und Geschmackssinn„. Gut, über Geschmack kann man bekanntlich streiten (und manche Schmuckstücke sind, nunja….urrkks) aber die Auswahl dort ist, vor allem größenmäßig, echt gut.
Was die Blutsgeschwister können, kann ich schon lange, dachte ich, kramte Sanna (die garnichts dafür kann, dass ich zu blöd zum Nähen bin) wieder hervor und nach etwas ausprobieren kamen dabei ein paar neue Lieblingsstücke raus:
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Sogar zum Radfahren eignen sich die Hosen, eine Radlerpolsterhose passt noch drunter (oder dachte jemand ehrlich, ich sei so dick??) Wir sind übrigens bei diesem Wetter (entlang der Lahn) losgefahren:

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Die andere bunte Hose (aus Hamburger Liebes Big Drops in türkis) hat es leider nicht aufs Bild geschafft. (Abgesehen davon habe ich auch noch drei einfarbige 3/4 Hosen zum Sofagammeln genäht, weil alle meine Gammelhosen altersschwach ihren Geist bzw die Nähte aufgegeben haben. Nicht, dass ich je auf dem Sofa gammeln würde… Ich sag ja, Hosenwahn!)
Blöderweise braucht man für bunte Hosen ja nun eher einfarbige Oberteile, es sei denn, man will beim Blick in den Spiegel in psychedelische Trance verfallen, ist farbenblind oder von Beruf Papagei.
Also musste ich, so ein Ärger aber auch, noch ein paar TShirts nähen. Um genau zu sein, drei weiße, zwei schwarze, ein graues und ein Ende ist nicht in Sicht. Da gibt es noch so viele schwarze, weiße und graue Farbtöne auf der Welt, hurra! Im Himmel, meine ich. Dort wo alle meine Klamotten vorher als Stoffballen getarnt wohnten.
Das hier ist also ein voll angeberischer 15fach Rums– und damit jetzt nicht alle sagen, oahh, ist die doof, die Doofe, gibts jetzt noch ein bisschen Hundecontent zur allgemeinen Verzückung. Und ja, der ist so süß wie er aus der Wäsche guckt.
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Edit: Ich bin bei Rums doch glatt direkt neben Sophie gelandet, die diesen Hosenschnitt erstellt hat und ihrerseits zwei Sannas zeigt, es ist mir eine Ehre.? Danke an Sophie, für den tollen Schnitt!

Happy Birthday

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Heute vor zehn Jahren fuhren wir auf Anraten der Hebamme in die Uniklinik- der Plan war eine spontane Geburt trotz Beckenendlage oder wie das hiess, (Junior weigerte sich aus dem bequemen Sitz koppheister zu gehen) ich habs schon längst vergessen (komisch, als Schwangere und Neu-Mutti sind einem solche Sachen unglaublich wichtig, aber nach ein paar Jahren verwechselt man dann doch so einiges. Ich. Ich jedenfalls. Könnte auch mit meiner unendlich verlängerten Schwangerschaftsdemenz zusammenhängen…).
Wo war ich? Ach ja- bei der netten Dame vom Ultraschall, die uns informierte, dass da wohl ein Kaiserschnitt unumgänglich sei- fünf Tage zu spät und ein halbes Kilo zu schwer für die spontane Geburt, und dann auch noch dieser Schatten im Ultraschall, dabei dachte ich immer, die wüsten, spontanen seien die besten… ach, Schwamm drüber.
Ich verstand sofort und versprach, morgen wiederzukommen und innerhalb von fünf Minuten war ich rasiert (sehr grob und blutig! Meine Schamhaare sind immer noch schockiert. Ja, ich habe Schamhaare! Himmeldonnerwetter.), in grünes Tuch gekleidet und eine sehr nervöse Assistenzärztin versuchte aus meiner Lendenwirbelsäule zwecks PDA einen Schweizer Käse zu machen. Blutige Angelegenheit. Und ein winziges bißchen schmerzhaft…
Ein fremder Mann, ebenfalls in grünes Tuch, Mundschutz und Mütze gekleidet, hielt meine Hand und sprach mir Trost zu. Ich überlegte kurz ob ich meinen Mann (wo war der eigentlich?) bitten sollte, diesem aufdringlichen Typen (unfassbar: baggert mich an, während ich kurz vor der Entbindung stehe) eins vor den Latz zu knallen, als mir aufging: der fremde Mann war gar nicht fremd, es war meiner. So ganz mit grünem Zeug im Gesicht und selbst fast kirre vor Aufregung hatte ich ihn nur nicht erkannt. Kann passieren.
Das ganze blutige Zeugs mit Bauch aufschneiden und Kind aus dem Bauch zerren beschreibe ich mal nicht genauer für die zarteren Gemüter unter uns. Für alle anderen: Kettensägenmassaker Teil 1-3 treffen es ganz gut.
So, und nun wird der Knabe, dessen erste Lebensäußerungen aus einem Häuflein Kacke auf der Hand des Chirurgen (Geburtshelfers? Hebammerich? Wie heisst der, der das Kind aus dem Bauch fummelt?) und anschliessend einem ordentlichen Pinkelpäuschen auf Papas Schoß bestanden, schon zehn Jahre alt. Zehn!
Wir haben, wie jeden Geburtstagsvorabend, die Geschenke eingewickelt und angerichtet mit ein bißchen Tüdelüüt, und wie jeden Geburtstagsvorabend hat Junior so getan, als schliefe er bereits und stattdessen den Geräuschen des Einpackens und Dekorierens gelauscht und sich vermutlich an seiner Vorfreude gewärmt bis er wirklich schlief.
(Er schafft es auch zuverlässig jedes Jahr, ERST seine Eltern zu wecken und dann mit ihnen gemeinsam den Geburtstagstisch zu bestaunen, statt loszurennen und das Papier von den Geschenken zu fetzen. Das hat gewisse Auswirkungen auf unsere Ausschlafzeit, aber gut. Wir waren gewarnt, was das betrifft.)
Sobald die Eltern gähnend ihren Widerstand aufgeben, es nach Kaffee riecht (und ich meine Kontaktlinsen eingesetzt habe) können endlich die Geschenke ausgepackt werden. Dieses Jahr eher die kleinere Variante: ein Spiel für die XBox, zwei kleinere Playmobilsachen, ein Mini-Transformer und das obligatorische Geburtstagsshirt (ein Handy wird folgen, dauert aber noch ein paar Wochen).
Am Nachmittag kommen um die fünfundzwanzig Gäste, alle werden mit Kaffee und Kuchen und später einem Grillbüffet bewirtet. Für die aufziehende Dunkelheit habe ich schon eine Großpackung Knicklichter für die Kids bereitgelegt, es gibt Stockbrot, genug Getränke für alle *hick* und das Leben wird einfach schön sein.
Eben: „Oh, Happy Day!“
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Es gibt Familien, da ist das alles ein unerreichbarer Luxus. Gestern war ich bei einer alleinerziehenden Mutter, deren jüngste Tochter am Sonntag ein Jahr alt wird. Aufgrund von Versäumnissen und Unwissenheit auf verschiedenen Seiten gelang es nicht, den Umzug von der fensterlosen Garagenwohnung in eine etwas größere Wohnung (mit Fenstern, aber noch unterhalb des Mietobergrenze) rechtzeitig nach SGB II (im Volksmund Hartz 4) finanziell abzusichern und nun hat die Mutter seit zwei Wochen kein Geld mehr und leider auch noch keine Antwort auf ihren inzwischen korrekt eingereichten Antrag, da in der Behörde alle hoffnungslos überlastet sind. (Und man auch nicht anrufen oder an der Tür klopfen kann um die Dringlichkeit deutlich zu machen. Nur Schriftverkehr bitte.)
Die Kleine hat natürlich noch überhaupt keine Vorstellung von „Geburtstag haben“ und so wird das Fehlen von Kuchen, Geschenken, Luftballons und Tüdelkram am ersten Geburtstag bei ihr ganz sicher kein Trauma auslösen- (die siebenjährige Schwester hat da schon genauere Vorstellungen wie ein Geburtstag auszusehen hat: Kuchen und Kerzen und Geschenke und Luftschlangen müssen dabei sein. Und das Geburtstagskind ist die Prinzessin!) der Mutter jedoch geht es wie uns allen: sie möchte den Tag zu etwas Besonderem machen.
Also sind wir einkaufen gefahren und ich habe die Mutter genötigt, alles einzukaufen, was sie braucht um zum einen mit Lebensmitteln über die nächsten beiden Wochen zu kommen und zum anderen am Sonntag eine schöne Feier wenigstens mit Kuchen machen zu können. Das ist eine schwierige Sache. Ich kann nicht einfach sagen: Kaufen sie was sie brauchen, ich bezahle alles- denn das ist gönnerhaft und degradiert mein Gegenüber zum Bittsteller.
Zum Glück haben wir ab und zu Menschen, die uns Geld spenden, welches wir ausgeben können ohne den Empfänger benennen zu müssen. Für Notfälle wie diesen, eine Einschulungsausstattung, ein paar Monate Mittagessen in der Kita oder ein Weihnachtsgeschenk vielleicht.
So kann ich auf einen Fonds verweisen den wir für solche Fälle haben, die Spende kommt nicht mehr direkt von mir und die Menschen können sie unbefangener und würdevoller entgegennehmen.
Das hat sie auch getan. Es wird also Geburtstagskuchen geben am Sonntag, dank der Spender.

Ein kleiner Unterschied zwischen diesem und dem Geburtstag unseres Sohnes, oder.
So voller Gedanken darüber, wie ich den Geburtstag für Junior am schönsten gestalten kann (und kaum einen Gedanken daran, was das kostet), wurde mir die Kluft umso deutlicher. Trotzdem werden beide Geburtstagskinder einen wirklich schönen Tag haben, denn das Wichtigste haben sie ja. ❤️?

Aber- Oh verdammt. Luftschlangen. Ich habe die verdammten Luftschlangen vergessen!